von: Dr. Till Kreutzer
Seit einigen Jahren schon wird darüber diskutiert, das Insolvenzrecht in Bezug auf Lizenzverträge zu reformieren. In Rede steht ein neuer § 108a Insolvenzordnung (InsO), mit dem geregelt werden soll, was mit Lizenzverträgen passiert, wenn der Lizenzgeber insolvent wird. Am 18.1.2012 hat das Bundesjustizministerium (BMJ) einen neuen Diskussionsentwurf vorgestellt (siehe den Text in unserer Stellungnahme). Zu diesem haben wir in einer Eingabe vom 5. Mai an das BMJ Stellung genommen, die Besonderheiten von OSS dargestellt und einen speziellen Lösungsvorschlag für Open Source und Open Content unterbreitet.
In der Stellungnahme geht es dem Institut nicht darum, den neuen Gesetzesentwurf allgemein zu kommentieren. Es geht uns vielmehr darum, dass die besonderen Umstände bei der Einräumung von Rechten an Software oder anderen Werken über freie Lizenzen (wie OSS oder Open Content) berücksichtigt werden. Im Kontext mit insolvenzrechtlichen Fragen relevant ist vor allem der Umstand, dass es bei OSS und Open Content aufgrund der Bearbeitungsfreiheit häufig eine Vielzahl von Rechteinhabern/Lizenzgebern gibt (man denke nur an den Linux-Kernel oder WIkipedia-Artikel). Die Gefahr, dass einer der Bearbeiter insolvent wird und damit die Software oder sonstigen Inhalte insgesamt nicht mehr genutzt werden können, ist daher groß. Dem soll der Vorschlag des ifrOSS begegnen. Er soll sicherstellen, das OSS oder Open Content, die bereits im Umlauf sind, wenn einer der Autoren oder Entwickler insolvent geht, weiterhin genutzt und lizenziert werden können.
Das Problem ist nicht trivial und kann hier nicht im Detail erklärt werden. Stark vereinfacht ausgedrückt sieht der Referentenentwurf des BMJ vor, dass der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht haben soll, ob ein Lizenzvertrag trotz Insolvenz erfüllt werden soll oder eben nicht (siehe § 103 InsO). Eine solche Regelung mag bei propriteären Softwarelizenzen sinnvoll erscheinen, könnte aber das Open-Source/Open-Content-Entwicklungs- und Vertriebsmodell unangemessen gefährden. Folge könnte zum Beispiel sein, dass eine von tausenden Beteiligten gemeinsam geschriebene Software nicht mehr genutzt werden kann, wenn einer der Bearbeiter insolvent wird.
Das sei an einem Beispiel erklärt: Eine Open-Source-Software wird von 500 Personen und Unternehmen gemeinsam entwickelt. Sie steht unter der GPL im Internet. Einer der Mitentwickler geht insolvent, der Insolvenzverwalter lehnt gemäß §§ 108a, 103 InsO die Erfüllung bereits geschlossener Lizenzverträge (Open-Source-Lizenzen) ab. Neue Lizenzen können nach der Insolvenz ohnehin nicht mehr abgeschlossen werden, weil es in Bezug auf diesen einen Bestandteil an der Verfügungsbefugnis des insolventen Rechteinhabers fehlt. Ergebnis ist, dass alle bereits vor der Insolvenz und die nach der Insolvenz über diese Version der Software zu schließenden Open Source Lizenzen ins Leere gehen.
Um dieses interessenwidrige und für OSS gefährliche Ergebnis auszuschließen, sieht der Vorschlag des ifrOSS vor, das Wahlrecht des Insolvenzverwalters bei freien Lizenzen auszuschließen. OSS- und Open-Content-Lizenzen die schon vor der Insolvenz zustande gekommen sind, bleiben uneingeschränkt wirksam. Das ifrOSS geht davon aus, dass es sich hierbei nur um eine Klarstellung handelt und dies auch nach geltendem Recht so ist. Nach unserer Auffassung findet § 103 InsO keine Anwendung auf bereits geschlossene Open Source Lizenzverträge, da diese in dem Moment, in dem die Nutzung aufgenommen wurde, bereits "vollständig erfüllt" sind.
Zudem bleibt auch das zuvor abgegebene Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrags nach unserem Vorschlag wirksam, wird also durch die Insolvenz nicht beeinträchtigt. Damit ist gesichert, dass auch neue Lizenzen, also solche, die nach der Insolvenz abgeschlossen werden, noch wirksam zustande kommen können. So wird verhindert, dass die Insolvenz eines von vielen Beteiligten die Verwertungsfähigkeit des ganzen Produkts gefährdet.