SAS Institute Inc ./. World Programming Ltd vor dem EuGH

Von: Dennis G. Jansen

 

Im zur Zeit dem EuGH vorliegenden Fall SAS Institute Inc ./. World Programming Ltd (EuGH, Az. C-406/10) ist Gegenstand des Verfahrens, in wieweit ein Programm in der EU die Funktionsweise eines anderen Programms, seine Datenschnittstellen und Dateiformate nachbilden, sowie dessen Programmiersprache interpretieren darf und wie ähnlich sich die Handbücher sein dürfen, ohne gegen Urheberrecht zu verstoßen oder eine Lizenz zu benötigen.

 

Die Entscheidung des EuGH, die zwischen März und Juni erwartet wird, ist potentiell für sehr viele Programme von Relevanz und kann wichtige Weichenstellungen geben für den Wettbewerb unter Software-Lösungen. Im Wettbewerb von Programmen werden häufig gegenseitig Ideen aufgegriffen und Funktionen nachgebaut. Hier kommen außer Unternehmenslösungen wie in diesem Fall insbesondere in Betracht: Office-Software, Datenbanken und Emulatoren, im Open-Source-Bereich z.B. Libre-/OpenOffice, MySQL, WINE, Linux, ReactOS u.v.m.

 

Der englische High Court legt den Fall vor, da die diesbezüglichen Gesetze der EU-Mitgliedsstaaten europäische Richtlinien (91/250 und 2001/29) umsetzen. Die englische SAS Institute Inc. bietet eine Software an, die vor allem für Datenanalyse und statistische Auswertungen im Unternehmensumfeld verwendet wird. World Programming Ltd. (WPL) entwickelte eine sog. "drop in replacement", also eine möglichst genaue Nachbildung und damit ohne Aufwand austauschbare Alternativ-Software für Skripte, die für SAS-Systeme erstellt wurden. Dabei wird die spezielle Programmiersprache interpretiert und Datenstrukturen, u.a. Dateiformate, Programmausgaben inklusive der Log-Dateien, werden nachgebildet. Die Alternative wäre, dass Unternehmen entweder SAS-Software einsetzen oder ihre Skripte neu bzw. umschreiben müssten.

 

Die Vorlagefragen des High Court umfassen,

(1.)

ob Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/250 einer Nachbildung oder Dekompilierung von Programmen entgegensteht,

(2.)

von welchen Faktoren dies ggf. abhängt,

(3.)

ob Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie der Interpretation einer fremd entwickelten Programmiersprache durch ein Programm entgegensteht,

(4.)

ob Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie dem Lesen oder Schreiben fremd entwickelter Datenformate entgegensteht,

(5.)

inwieweit dies von den Umständen abhängt.

Desweiteren fragt der High Court,

(6.)

ob Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie erlaubt, ein Programm ohne oder außerhalb der Lizenz zu verwenden, um es zu untersuchen und dessen Ideen und Grundsätze zu ermitteln,

(7.)

inwieweit dies vom Zweck der Untersuchung abhängt,

(8.)

ob Elemente des urheberrechtlich geschützten Handbuchs eines Programms vor der Reproduktion in einem anderen Programm geschützt sind und schließlich,

(9.)

ob das Urheberrecht an dem Handbuch verletzt wird, wenn die Schlüsselworte und Syntax, die das erste Handbuch beschreibt, ganz oder im Wesentlichen vervielfältigt werden.

 

Der Generalanwalt Yves Bot des EuGH schlägt dem Gericht in seinen Schlussanträgen als Antwort vor, dass die Funktionalität eines Programms oder deren Kombinationen als solche nicht geschützt ist. Algorithmen und Formeln seien wie Worte des Poeten in der Literatur und als solche nicht schutzfähig, eine konkrete Kombination und das Arrangement derselben, etwa in Form von konkretem Quellcode, allerdings schon. Damit ein Computerprogramm überhaupt gem. Art. 1 (3) der Richtlinie geschützt ist, müsse es das eigene intellektuelle Werk des Autors sein, was sich weder nach den Fähigkeiten des Autors noch dem Arbeitsumfang, sondern nur nach der Originalität des Werkes bestimme. Lediglich die Konkretisierung der Funktionalität sei also zu schützen. Eine Ausnahme greife daher, wenn der Urheber "einen wesentlichen Teil der Elemente des erstgenannten Programms vervielfältigt hat, die die eigene geistige Schöpfung von dessen Urheber zum Ausdruck bringen" (Abs. 125). Gleiches gelte für das Handbuch zu der Software: Die zugrunde liegenden Ideen und Funktionalitäten und Worte der Software seien frei verwendbar, nicht jedoch die konkrete Ausformulierung oder Darstellung.

 

Ein teilweises Kopieren und Dekompilieren von (Maschinen-) Code, der mit einem Dateiformat umgeht, sei gem Artt. 1(2) und 6 RL 91/250 ohne Lizenz möglich, wenn dies zur Interoperabilität absolut notwendig sei - eine Reproduktion fremden Codes im eigenen Programm sei dabei allerdings nicht zulässig, und die Beweislast liege beim Nachahmer.

Der Generalanwalt vergleicht Programmiersprachen mit Sprachen und stellt fest, dass die Worte und Buchstaben allen bekannt seien, die Programmiersprache als solche also nicht geschützt sei.

 

Er verweist zur Begründung u.a. auf die vorbereitenden Arbeiten zu RL 91/250: Urheberrecht sei als Schutzform für Computerprogramme gewählt worden, um auch ähnliche oder identische Programme zu ermöglichen, solange diese nicht durch Kopieren eines anderen entstehen. Andernfalls bestehe die erhebliche Gefahr einer Monopolisierung von Ideen mit wesentlichen Nachteilen für den technischen Fortschritt und die industrielle Entwicklung. Als Schutzvoraussetzung für Teile eines Programms schlägt der Generalanwalt Originalität vor. Die Originalität eines Werkes, welche Zugang zum rechtlichen Schutz gewährt, liege nicht in einer Idee, sondern in ihrem konkreten Ausdruck. Feststellbar sei die Originalität darüber, ob es sich um den Ausdruck des intellektuellen Schaffens handelt.

 

Ein Kernproblem ist, dass die  Richtlinie 91/250 gem. Art. 1 (2) "alle Ausdrucksformen von Computerprogrammen" schützt. Die Definition, was eine Ausdrucksform ist, wurde aber von der EU-Gesetzgebung ausdrücklich offen gelassen. In der früheren Entscheidung Bezpecnostni softwarova asociace (Az. C-393/09) hatte der EuGH entschieden, dass Computerprogramme in ihrer grafischen Benutzeroberfläche nicht als Computerprogramm von RL 91/250 geschützt sind. Das Programm müsse in einer Form vorliegen, die die Reproduktion des Computerprogrammes ermöglicht, etwa im Quell- oder Objektcode. In Betracht kommt dann jedoch ein Schutz durch RL 2001/91 als urheberrechtliches Werk im Falle, dass die Benutzeroberfläche eine eigene geistigen Schöpfung darstellt. Dieser Entscheidung schließt sich der Generalanwalt an.