GPL und Patentrecht
Softwarepatente als Gefahr?
Axel Metzger
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Die Lizenzbestimmungen "proprietärer" Software enthalten
zumeist den Hinweis, dass diese "durch die Urheberrechtsgesetze und
durch Bestimmungen internationaler Verträge geschützt ist"." Von einem
Patentschutz der Computerprogramme ist dort keine Rede. Amazons Patent
auf die 1-Click-Technik hat auch Nichtjuristen wieder einmal auf die
Existenz von Softwarepatenten hingewiesen. Wie vertragen sich diese mit
dem Open-Source-Gedanken?
mazon.com gilt als Vorzeigeunternehmen der Netzwirtschaft und
ist es gewohnt, im Zentrum des öffentlichen Interesses zu stehen. Die
starke Medienresonanz der letzten Monate dürfte Amazon-Chef Jeff Bezos
aber kaum erfreut haben: Die Firma steht im Mittelpunkt der zunehmend
kritischen Diskussion über Sinn oder Unsinn von Patenten an Software
und softwarebezogenen "Business methods". Was ist geschehen? Amazon
hatte sich beim amerikanischen Patentamt (PTO) ein Patent auf "seine"
1-Click-Technik eintragen lassen (U.S.-Patent 5.960.411): Bei 1-Click
muss der bestellwillige Kunde nicht bei jedem Besuch des Online-Händlers
erneut seine persönlichen Daten sowie die Kreditkartennummer eingeben,
vielmehr wird beim Kunden, der seine Daten bei Amazon einmal hinterlassen
hat, ein Cookie im Browser "injiziert". Bei einem erneuten Zugriff
schickt der Browser das Cookie an die Amazon-Seite; der Kunde braucht
seine Daten nicht erneut einzugeben. Dass Amazon.com durchaus gewillt
ist, seine Online-Patente auch gerichtlich zu verteidigen, zeigt
die Auseinandersetzung der Firma mit ihrem größten Konkurrenten im
Online-Buchhandel Barnesandnoble.com. Barnesandnoble.com arbeitet
mit einem vergleichbaren Bestellsystem, Amazon hat deswegen vor dem
U.S. District Court of Seattle Klage auf Unterlassung und Schadensersatz
erhoben und eine einstweilige Verfügung erwirkt. Doch damit nicht genug:
Wie jetzt bekannt wurde, hat Amazon.com jüngst auch ein Patent auf die
im Online-Handel überaus gängigen "Affiliate Programs" erhalten. Durch
ein "Affiliate Program" vermittelt eine Website Kunden an eine andere
Website. Im Fall Amazon.com handelt es sich um Werbefenster von Amazon
auf den Websites anderer Betreiber, in denen Amazon Bücher zu den
angefragten Themen bewirbt. Klickt der Kunde zu Amazon und bestellt,
so erhält der Betreiber der vermittelnden Seite eine Provision.
Boycott Amazon?
Die Kritik an dieser aggressiven Geschäftspolitik hat nicht
lange auf sich warten lassen. Richard Stallman von der Free Software
Foundation rief zum Boykott von Amazon.com auf, der Verleger Tim O'Reilly
sammelte innerhalb weniger Tage 10.000 Unterschriften, um Jeff Bezos
und Amazon.com zu einem Einlenken zu bewegen. Amazons Vorgehen zeige,
so Richard Stallman, dass "man selbst simpelste Ideen monopolisieren
will. Dies stelle einen Angriff auf das World Wide Web und den
E-Commerce im allgemeinen dar."[1] Die Proteste haben
ihre Wirkung nicht
verfehlt. Jeff Bezos ruderte in gewisser Weise zurück, in dem auch er sich
den patentkritischen Stimmen mit der Bemerkung anzuschließen versuchte,
die Patentrechtsordnung müsse künftig "die gänzlich andere Natur der
Softwarepatente im Vergleich zu normalen Patenten berücksichtigen",
insbesondere müsse die Schutzdauer in diesem Bereich auf drei bis
fünf Jahre gesenkt werden[2]. Der "Fall" Amazon.com ist deswegen so
interessant, weil er die Frage nach der Patentierbarkeit von Software
einmal mehr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit rückt. "Proprietäre"
Software meint heute in zunehmendem Maße, dass die Programme nicht
mehr nur durch das Urheberrecht, sondern auch durch das Patentrecht
geschützt werden. Wann aber kommt ein patentrechtlicher Schutz von
Computerprogrammen in Frage und - diese Frage interessiert in unserer
Open-Source-Kolumne natürlich in erster Linie - wie vertragen sich
Softwarepatente mit dem Open-Source-Gedanken?
Keine Patente für "Software als solche"
Wer die Lizenzbestimmungen von "proprietärer" Software aufruft, wird
neben dem berühmten Copyright-Vermerk zumeist auch den Hinweis finden,
dass das Programm "durch die Urheberrechtsgesetze und durch Bestimmungen
internationaler Verträge geschützt ist". Über einen Patentschutz der
Software findet sich dagegen meistens keine Information.
Einen ähnlichen Eindruck vermitteln auf den ersten Blick auch
die deutschen Gesetze: § 1 Absatz 2 Nr. 3 des Patentgesetzes (PatG
[3]) nimmt "Programme für Datenverarbeitungsanlagen"
ausdrücklich
vom Anwendungsbereich des Patentgesetzes aus, während das
Urheberrechtsgesetz in den §§ 69 a ff. eine ausführliche Regelung
für Computerprogramme bereithält. Oft überlesen wird allerdings die
Präzisierung der AusschlußklauselAusschlussklausel in § 1 Absatz 3
PatG. Dort ist zu lesen, dass § 1 Absatz 2 PatG der Patentfähigkeit
nur insoweit entgegensteht, "als für die genannten Gegenstände oder
Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird." Die etwas verdrehte
Ausnahme-von-der-Ausnahme-Norm meint im "Klartext": nur "Software als
solche" ist vom Patentschutz ausgeschlossen.
Patentfähig oder nicht?
Patentfähig sind nach der Spruchpraxis der Patentämter dagegen die
sogenannte softwarebezogenen Erfindungen, klassische Beispiele hierfür
sind programmgesteuerte Geräte sowie programmgesteuerte Herstellungs-
und Steuerungsverfahren [4]. Voraussetzung eines
patentrechtlichen
Schutzes in Europa ist stets, dass die Erfindung einen "technischen
Charakter" hat. Technik ist Naturbeherrschung, die Erfindung muss also
eine gewisse physikalische Erscheinung nach sich ziehen. Feinsinnige
Abgrenzungen werden aber dann erforderlich, wenn die Neuerung "nur"
im Softwarebereich liegt. Auch dann ist Patentschutz möglich, das
Vorliegen eines "technischen Effekts" hängt hier vor allem von der
treffenden Formulierung des Patentantrags ab. So ist zum Beispiel nach der
VICOM-Entscheidung des Europäischen Patentamts in München "ein Verfahren
zur digitalen Filterung von Daten" als solches nicht patentfähig,
während ein Verfahren "zur digitalen Verarbeitung von Bildern" als
technisches Verfahren angesehen wurde: Als technischer Beitrag, der über
den Bereich des Programms als solchem hinausgeht, wurde die Verbesserung
oder Wiederherstellung der Qualität des Bildes angesehen.
Das "Technizitätserfordernis" des europäischen Patentrechts fordert
vom Patentanwalt also einige Formulierungskunst. Uns soll die Frage nach
der Patentfähigkeit von Software nicht weiter aufhalten. Festgehalten
werden kann jedenfalls, dass es unter bestimmten Voraussetzungen auch
in Deutschland bzw. Europa einen Patentschutz für Programme gibt.
Die amerikanische Rechtslage unterscheidet sich hier stark von der
deutschen. Das amerikanische Patentrecht fragt nicht danach, ob es
sich bei der Neuerung um eine "technische Erfindung" handelt. Für
die Patentfähigkeit in den USA reicht vielmehr, dass die "invention"
"novel, useful and non-obvious" ist. Ob Amazons 1-Click-Technik zum
Antragszeitpunkt "novel" und "non-obvious" gewesen ist, soll hier
nicht weiter ausgeführt werden: In Deutschland scheiterten viele der
amerikanischen Online-Patente, die im Bereich der "Business methods"
liegen - Amazons Patent ist hier das beste Beispiel - jedenfalls bereits
am Technizitätserfordernis.
Softwarepatente existieren also. Dass sie auch für den Bereich
der Open- Source-Software an Bedeutung gewinnen, zeigen die ersten
Beispiele für erfolgreiche Patentanmeldungen in diesem Bereich. Gerade
jüngst wurde dem Entwickler Victor Yodaiken für sein "Realtime-Linux"
ein Patent angemeldet [5]: Das "RTLinux" ist
echtzeitfähig, das bedeutet,
dass das System auf Ereignisse innerhalb einer festen Zeit reagieren
kann. Ein normales Linux kann keine feste Antwortzeit garantieren. Auch
die GPL geht auf Softwarepatente ein. Am Ende der Präambel findet sich die
folgende Formulierung: "Finally, any free program is threatened constantly
by software patents. We wish to avoid the danger that redistributors
of a free program will individually obtain patent licenses, in effect
making the program proprietary. To prevent this, we have made it
clear that any patent must be licensed for everyone's free use or not
licensed at all." [6] Wie nun also vertragen sich
Softwarepatente mit
dem Open-Source-Gedanken, ist die in der GPL ausgedrückte Befürchtung,
das Patentrecht "bedrohe jede freie Software", berechtigt? Um eine
erste unberechtigte Sorge gleich zu Anfang auszuräumen: für ein
bereits bestehendes, "freies" Programm kann nur ihr Erfinder oder sein
Rechtsnachfolger ein Patent anmelden, welches rechtlich sicher ist. Nur
der Erfinder, bei Software wird es sich in der Regel um den Programmierer
handeln, hat ein "Recht auf das Patent" gem. § 6 PatG. Stellt eine andere
Person einen Antrag auf Erteilung eines Patents an diesem Programm,
so kommt ihr zwar - aus Gründen der Verfahrensvereinfachung - gemäß § 7
PatG ein "Recht auf Erteilung eines Patents" zu. Der übergangene Erfinder
kann hiergegen jedoch unterschiedliche Rechtsmittel einlegen. Er kann
bis drei Monate nach Abschluss des Patentverfahrens Einspruch gegen
die Erteilung des Patents einlegen gemäß §§ 59, 21 PatG, er kann aber
auch zu einem späteren Zeitpunkt die Übertragung eines fälschlicherweise
erteilten Patents gemäß § 8 PatG erwirken. Eine rechtlich bestandsfähige
"Usurpation" einer fremden Software-Erfindung ist also nicht möglich.
So klar nun aber ist, dass keiner anderen Person das "Recht auf das
Patent" zukommt, so eindeutig ist auch, dass die GPL den Programmierer
keineswegs daran hindert, sich eine Fortentwicklung von "freier", der GPL
unterstehender Software patentieren zu lassen. Das "Recht auf das Patent"
steht ihm an seiner Fortentwicklung ohnehin ohne weitere Formalitäten zu,
es durch ein Verfahren vor einem Patentamt in ein vollständiges Patent
umzuwandeln, verbietet ihm aber auch die GPL nicht.
Das europäsiche Patentamt in München: Viel Glas und doch nicht
transparent
Patentierte Software unter GPL
Nur verlangt sie in Ziffer 2 b vom Nutzer "freier" Software, dass wenn
er bei der Nutzung und Veränderung von Open-Source-Software Urheber-
oder eben Patentrechte erwirbt, diese wieder unter die GPL stellt:
"You must cause any work that you distribute or publish, that in whole
or in part contains or is derived from the Program or any part thereof,
to be licensed as a whole at no charge to all third parties under the
terms of this License."
Diese Verpflichtung aus der GPL ist dabei nicht nur als unverbindliche
Aufforderung an den OSS-Programmierer zu verstehen. Sie verpflichtet den
Nutzer von "freier" Software vielmehr in rechtsverbindlicher Weise dazu,
seine patentrechtlich geschützten Fortentwicklungen wiederum offenzulegen
und "frei" zu geben. Andernfalls ist es ihm durch Ziffer 4 der GPL
untersagt, das Programm weiterzuverbreiten: "You may not copy, modify,
sublicense, or distribute the Program except as expressly provided under
this License. Any attempt otherwise to copy, modify or distribute the
Program is void, and will automatically terminate your rights under
this License."
Im Klartext: Die GPL verbietet dem Programmierer nicht, sich ein
neues, von ihm entwickeltes Tool für ein "freies" Programm patentieren
zu lassen. Sie verpflichtet ihn jedoch dazu, das Tool wiederum "frei" zu
geben, indem er es der GPL unterstellt. Dadurch wird ein im Hinblick auf
Patentlizenzen gebührenfreies Nutzungsrecht an jedermann eingeräumt.
Fallstrick Patentrecht
Perspektivenwechsel. Man stelle sich nicht den Verwerter
"proprietärer" Software vor, der ein "freies" Programm durch ein
Softwarepatent monopolisieren will, sondern den OSS-Entwickler, der beim
Schreiben einer "neuen" Software Teile eines patentrechtlich geschützten
Programms einbaut, dessen Inhaber ein "proprietär" agierendes Unternehmen
ist. Der OSS-Entwickler verbreitet diese vermeintlich neue Software
nun in ihrer Gesamtheit unter der GPL. Fälle dieser Art werden durch
die zunehmende Tendenz der Internetindustrie, auch für gängige Techniken
Patente anzumelden, an Bedeutung gewinnen. Für die von Amazon patentierte
1-Click-Technik oder das "Affiliate Program" lassen sich schließlich auch
im OSS-Kontext zahlreiche sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten denken. Klar
ist, dass der OSS-Programmierer für diese Programmteile keine Lizenzen
erteilen kann, denn er ist nicht Inhaber des Patentrechts. Kann er aber
keine Patentlizenzen erteilen, so kann er die benutzten Programmteile
auch nicht unter die GPL stellen, andernfalls könnte "proprietäre"
Software all zu leicht in Open-Source-Software "umgewandelt" werden.
Der Patentrechtsinhaber kann den Vertrieb dieser Software deswegen
gemäß § 139 Absatz 1 PatG untersagen, wer nun also dieses Programm
verbreitet - man denke etwa an einen Distributor - hat damit zu rechnen,
dass er eines Tages eine Unterlassungsverfügung des Patentinhabers im
Briefkasten findet. Hinzutreten können zudem Schadensersatzansprüche des
Patentrechtsinhabers gemäß § 139 Absatz 2 PatG. Diese setzen aber Vorsatz
oder Fahrlässigkeit des Distributors bezüglich des Bestehens eines solchen
Patents voraus. Die Gefahr, sich Schadensersatzverpflichtungen gegenüber
zu sehen, muss aber realistisch eingeschätzt werden. Sicherlich verhält
sich der "einfache" OSS-Programmierer nicht fahrlässig, wenn er darauf
verzichtet, breit angelegte Patentrecherchen anzustellen.
Anders kann die Lage aber schon bei größeren Distributoren
aussehen, dies gilt um so mehr, als so manches Softwarepatent in den
Medien ein breites Echo hervorgerufen hat, neben den bereits erwähnten
Amazon-Patenten ist etwa auch das MP3-Patent des Fraunhofer-Instituts
in Fachkreisen gut bekannt. Hier wäre bei einer weitgehenden Blindheit
gegenüber bestehenden Patenten ein Fahrlässigkeitsvorwurf durchaus
denkbar. Im Gestrüpp der Softwarepatente lauern also durchaus Gefahren
für die Open-Source-Gemeinde. (uwo)
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