SAS Institute Inc ./. World Programming Ltd - EuGH sichert europäischen Wettbewerb zwischen Softwarelösungen

von: Dennis G. Jansen

In der Sache SAS Institute Inc. ./. World Programming Ltd entschied der EuGH am 2. Mai 2012 wichtige Fragen zum Urheberrecht an Computerprogrammen. Die Entscheidung verlief weitgehend entsprechend dem Antrag des Generalanwalts, über den wir bereits berichtet haben (Nachricht der Woche vom 16.01.2012). Fraglich war, in wieweit ein Programm in der EU die Funktionsweise eines anderen Programms, seine Datenschnittstellen und Dateiformate nachbilden sowie eine Programmiersprache interpretieren darf und wie ähnlich sich Handbücher sein dürfen, ohne gegen Urheberrecht zu verstoßen oder eine Lizenz zu benötigen.

Der EuGH entschied nun, dass Funktionalität, Programmiersprache und Datenformat nicht Ausdrucksform eines Programms und damit gem. Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/250/EWG nicht durch das Urheberrecht für Computerprogramme geschützt sind. Nach Artikel 5 Absatz 3 derselben Richtlinie darf jemand, der eine lizenzierte Kopie eines Computerprogramms besitzt, ein Computerprogramm zudem ohne besondere Erlaubnis "beobachten, untersuchen oder testen", um dessen Ideen und Grundsätze herauszufinden. Davon umfasst sind von einer Lizenz gewährte Nutzungen sowie ein für diese Tätigkeiten erforderliches "Laden und Ablaufen", also insbesondere das Ausführen des Programms. Allerdings dürfen die Ausschließlichkeitsrechte des Urheberrechtsinhabers nicht verletzt werden.

Ob eine Anleitung, welche gleiche Elemente wie ein Handbuch eines anderen Programms erläutert, das Urheberrecht eines ersten Urhebers verletzt, hängt davon ab, ob es "die eigene geistige Schöpfung" eines zweiten Urhebers widerspiegelt. Dies wird vom vorlegenden britischen Gericht zu entscheiden sein.

Die Entscheidung des EuGH ist ein gutes Zeichen für Open Source und andere Software, welche Funktionalitäten anderer Programme nachbilden. Generell sichert die Entscheidung einen starken Wettbewerb unter Softwarelösungen auf dem europäischen Markt. Denn wenn eine Nachbildung von Funktionen und Datenformaten nicht ohne spezielle Lizenz möglich wäre, so könnte der Übergang von einer Softwarelösung zu einer anderen nur mit erheblichen Schwierigkeiten während der Umstellung erfolgen. Konkurrenten hätten es bei einer anderen Entscheidung zumindest deutlich schwerer gehabt, Alternativen zu bestehenden Softwarelösungen anzubieten:

Im Bereich der Open Source Software gibt es verschiedene Beispiele, die von der Entscheidung betroffen sind. Das WINE-Projekt etwa bildet unter anderem Programmbibliotheken von Microsoft Windows für die Nutzung unter Linux nach und ermöglicht so einen leichteren Wechsel des Betriebssystems von Windows zu Linux oder Mac OS X. Das LibreOffice-Projekt lädt und speichert die Dateiformate unter anderem von Microsoft Office und ermöglicht so einen einfacheren Umstieg und eine Kompatibilität zu anderer Software. Durch die Entscheidung ist erstmal sichergestellt, dass solche Kompatibilitätslösungen weiterhin möglich sind. Probleme für diese und andere Projekte könnte es jedoch noch durch Softwarepatente geben, vor allem in den USA. 

Die Entscheidung gilt zunächst zwar nur zwischen den Parteien des Gerichtsverfahrens. Die Richtlinie, welche der EuGH gleichzeitig EU-weit verbindlich ausgelegt hat, wirkt gem. Art. 288 Absatz 3 AEUV gegenüber allen Mitgliedsstaaten und ist unter Umständen auch unmittelbar anwendbar (http://europa.eu/legislation_summaries/institutional_affairs/decisionmaking_process/l14547_de.htm). Wenn ein Gericht in der EU von der Entscheidung abweichen will, muss es sich dies nach der Foto-Frost-Rechtsprechung zunächst durch Vorlage gem. Art. 267 AEUV an den EuGH absegnen lassen.

 

Gegenüberstellung mit dem laufenden kalifornischen Verfahren von Oracle gegen Google

 

Auch in den USA wurde diese Entscheidung mit großem Interesse erwartet. Dort stellen sich zur Zeit teils ähnliche Fragen im Verfahren Oracle ./. Google. Oracle trägt in der ersten Instanz eines Prozesses in Kalifornien vor, dass Google sich bei der Dalvik genannten Basis, auf welcher Programme ("Apps") in Android ausgeführt werden, an Java orientiert ohne vollständig Java-kompatibel zu sein und dadurch Oracle's (mit dem Kauf von Sun erworbenes) Urheberrecht an Java verletze:

Google verwendet in Dalvik APIs, also Schnittstellen zur Kommunikation zwischen Programmen, die sich in großen Teilen an Java orientieren. Google soll dabei laut Oracle teilweise Quellcode eins zu eins kopiert haben. Direktes Kopieren war beim europäischen Fall, über den hier berichtet wird, kein Vorwurf.

Unabhängig von dem Umstand, dass es sich bei Java auch um eine Programmiersprache handelt, entscheidet der EuGH eine etwas andere Frage. "Darf eine Programmiersprache von einer anderen Software ohne Lizenz originalgetreu interpretiert werden?" wurde das britische Gericht gefragt. Um diese Frage zu beantworten legte es dem EuGH die Frage vor, ob eine Programmiersprache überhaupt geschützt ist. Diesen Schutz für eine Programmiersprache verneinte der EuGH. Damit weiß das britische Gericht nun, dass die Programmiersprache von einer anderen Software interpretiert werden darf.

Oracle hat gegen eine originalgetreue Interpretation seiner Sprache jedoch überhaupt keine Einwände, im Gegenteil: Google soll den Java Quellcode gerade vollständig konform interpretieren, wie etwa das OpenJDK.  Oracle stört sich gerade an den Eigenarten und Abweichungen von Dalvik gegenüber der Java API: Java-Anwendungen sollen nach Oracles Auffassung unverändert unter Android laufen können, jedoch hat Google eine eigene, inkompatible Variante von Java entwickelt. Dies ist gerade ein Kernpunkt der Klage von Oracle. Oracle befürchtet offenbar, Google's Dalvik könnte populärer als Java selbst werden und Oracle weitgehend vom zukunftsträchtigen mobilen Markt verdrängen. In den USA wird also gefragt: "Darf man auf der Grundlage einer anderen Programmiersprache ohne Einverständnis dessen Urhebers seine eigene entwickeln?"

Man könnte also sagen, in dem europäischen Prozess geht es um die "Kopie" einer API, während es in den USA um eine "Ableitung" einer API geht.

Der EuGH beantwortet auch diese Frage für die EU trotzdem: Eine Programmiersprache ist hier nicht Ausdrucksform eines Programms und damit nicht von der Richtlinie 91/250/EWG geschützt. Damit sind weder Kopie noch Ableitung von der Richtlinie geschützt. Dass eine Programmiersprache "Ausdrucksform" eines Programms ist, ist in den USA allerdings nicht Voraussetzung für ihren urheberrechtlichen Schutz. Lediglich das Ergebnis des EuGH - kein urheberrechticher Schutz für Programmiersprachen und APIs an sich - ließe sich folglich ohne weiteres übertragen.

Die Frage, ob das direkte Kopieren oder Verwenden von Quellcode zulässig ist, wurde hier genauso wenig vom EuGH beantwortet wie der Problembereich einer Veröffentlichung von Java-Quellcode unter einer Open Source-Lizenz und deren rechtliche Folgen. Auch Patente waren vor dem EuGH von keinerlei Relevanz.

Auch wenn einige Rechtsfragen sich überschneiden gibt es also wichtige Unterschiede sowohl in den Sachverhalten als auch hinsichtlich der europäischen und amerikanischen Rechtslage. Allerdings wird der kalifornische Richter die Urteilsbegründung des EuGH voraussichtlich zur Kenntnis nehmen, insbesondere nachdem Google sich explizit auf das Verfahren bezogen hat. Inwieweit dies Einfluss auf die amerikanische Entscheidung haben wird, bleibt abzuwarten. Die genannten Auswirkungen für den Wettbewerb von Softwarelösungen dürften jedoch auch für die USA von Interesse sein.