FSF veröffentlicht ?Affero General Public License Version 1?

Von Dr. Axel Metzger
 
Die Free Software Foundation hat überraschend eine neue Lizenz veröffentlicht - die AGPL. Genau genommen handelt es sich um die ?Unterstützung? einer für die Firma Affero speziell abgewandelten Version der General Public License Version 2 durch die FSF. Damit weicht die FSF erstmalig von der bisherigen Lizenzpolitik ab, nach der die beiden von der FSF unterstützen Lizenzen, die General Public License und die Lesser General Public License, nur unverändert von Dritten genutzt werden konnten. Die AGPL stellt besondere Anforderungen für den Vertrieb von Software auf, die für eine Nutzung in Netzwerken bestimmt ist. Sie weicht inhaltlich im Wesentlichen nur in einer Vorschrift von der GPL ab. Der neue § 2 d) lautet:

"If the Program as you received it is intended to interact with users through a computer network and if, in the version you received, any user interacting with the Program was given the opportunity to request transmission to that user of the Program's complete source code, you must not remove that facility from your modified version of the Program or work based on the Program, and must offer an equivalent opportunity for all users interacting with your Program through a computer network to request immediate transmission by HTTP of the complete source code of your modified version or other derivative work."

Nach der Pressemitteilung der FSF wird eine entsprechende Vorschrift auch in der GPL Version 3.0 zu finden sein. Die Öffentlichkeit ist aufgefordert, Anmerkungen an agpl@fsf.org zu schicken.

Hintergrund:
Die Veröffentlichung der Affero General Public License ist in mehrerlei Hinsicht von besonderem Interesse.
Überraschend ist die grundsätzliche Kehrtwende in der FSF-Lizenzpolitik. Durch die AGPL hat die FSF nunmehr einen Präzedenzfall für die Nutzung von abgewandelten Versionen der GPL geschaffen. Anders als die anderen beiden bedeutsamen freien Softwarelizenzen, die BSD-Lizenz und die Mozilla Public License , konnte die GPL bisher stets nur in unveränderter Form von Dritten genutzt werden. Dies hatte den Nachteil, dass Unternehmen und Einzelentwickler, die ein Programm frei geben wollten, im Umgang mit der GPL stets vor eine Entweder-Oder-Entscheidung gestellt waren. Die Lizenzen selbst bringen diesen Grundsatz explizit vor der Präambel zum Ausdruck. Dem Mangel an Flexibilität stand der Vorteil einer stabilen Lizenzsituation gegenüber, der Inhalt der GPL ist bekannt, Überraschungen bleiben dem Nutzer erspart. Es bleibt abzuwarten, ob die AGPL ein singuläres Phänomen oder der Anfang einer flexibleren Lizenzpolitik ist. Natürlich ist auch künftig die Nutzung von modifizierten Versionen der GPL nur mit Einwilligung der FSF möglich.
Inhaltlich bringt die AGPL einen Vorgeschmack auf den Umgang künftiger GNU-Lizenzen mit der Nutzung von freier Software auf Netzwerkrechnern und bei Application Service Providing (ASP). Die Situation ist hier bislang unbefriedigend, für die GPL Version 3 ist eine Lösung des Problems angekündigt. Zu beantworten sind die folgenden Fragen: Ist die ?Verbreitung? von GPL-Software in einer Weise gestattet, bei der der Nutzer auf seinem Terminal nur noch eine Bedienungsoberfläche hat, während die Programme auf einem Server gegebenfalls außerhalb seines Betriebes laufen? Fällt eine solche Nutzung unter ?distribute? Im Sinne von § 1 der GPL, wem muss auf welche Weise die Source und die Lizenz mitgeliefert werden? Die Antworten auf diese Fragen sind schwierig, die Verbreitung von GNU/Linux im Rahmen von ASP stößt in der gegenwärtigen Lizenzsituation auf erhebliche Bedenken (vgl. Jaeger/Metzger, Open Source Software, S. 34).
Die AGPL gibt hier eine erste Antwort, löst das Problem aber noch nicht vollständig.
Es ist richtig und sinnvoll, dem Nutzer, der Veränderungen an einem Netzwerkprogramm vornimmt, vorzuschreiben, dass er alle Mechanismen, die einen Zugriff auf die Sourcen des Netzwerk-Programms gestatten, unangetastet zu lassen hat. Es ist auch folgerichtig, dem Bearbeiter eines solchen Programms aufzuerlegen, für den von ihm hinzugefügten Code ebenfalls einen solchen Mechanismus anzubieten. Ob die Source des Bearbeiters dabei immer als HTTP zur Verfügung gestellt werden muss, erscheint indessen zweifelhaft. Was, wenn er ein Netzwerkprogramm, bei dem die Source als FTP angeboten wird, bearbeitet: Muss er dann seine Veränderungen als HTTP anbieten? Dieses Problem erscheint relativ einfach lösbar. Denkbar wäre etwa, dem Bearbeiter die Verpflichtung aufzuerlegen, den hinzugefügten Code auf dem Wege anzubieten, auf dem selbst in den Besitz des Codes des unbearbeiteten Programms gekommen ist.
Schon schwieriger wiegt die Frage, wie mit dem Angebot von freier Software in Netzwerken oder als ASP umzugehen ist, die ohne einen entsprechenden Mechanismus daherkommt. Hier ist noch einige Gedankenarbeit auf dem Weg zur GPL 3.0 zu leisten: Muss derjenige, der ein freies Programm auf einem Netzwerk anbietet, einen entsprechenden Mechanismus einbauen oder soll das schriftliche Angebot zur Lieferung des Source Codes analog § 3 GPL genügen? Direkte Anwendung kann die Vorschrift jedenfalls dort nicht finden, wo der Nutzer nur noch an einem ?echten? Terminal arbeitet, also nicht mal der Object Code geliefert wird.
Das Thema ASP bei freier Software bleibt spannend...