Von Till Kreutzer
Am 29. Januar 2003 fand vor den Fachausschüssen (federführend ist der Rechtsausschuss) im Bundestag eine Expertenanhörung zur Reform des Urheberrechts statt. 18 Sachverständige waren hierfür von den Fraktionen benannt worden, um sich zu dem - nach wie vor umstrittenen - Reformentwurf der Bundesregierung vom 6.11.2002 zu äußern. Alle Sachverständigen hatten zuvor eine schriftliche Stellungnahme eingereicht (siehe auch die Stellungnahme des ifrOSS vom 24.01.2003 http://www.ifross.de/ifross_html/Anhoerung.pdf) Geladen waren verschiedene Wissenschaftler und Interessenvertreter. Vertreten war u.a. die GEMA, der Bundesverband phonografischer Wirtschaft, VPRT, DMMV, BITKOM, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Bundesverband der Verbraucherzentrale. Von wissenschaftlicher Seite waren - neben Till Kreutzer vom ifrOSS - die Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Schack (Uni Kiel), Prof. Dr. Stickelbrock (Uni Bielefeld) und Dr. Müller (Uni Münster) sowie der Informationswissenschaftler Prof. Dr. Rainer Kuhlen zugegen.
Thematisch ging es insbesondere um die Lehr- und Forschungsschranke (§ 52a RegE UrhG), die Privatkopieschranke (§ 53 Absatz 1 UrhG) sowie den Schutz technischer Maßnahmen im Sinne der neu einzuführenden §§ 95a und 95b RegE UrhG. Das letztgenannte Problemfeld wurde insbesondere in Bezug auf das Zusammenspiel von Schranken und dem Schutz von DRM-Systemen kontrovers diskutiert.
Viele neue Argumente waren dabei nicht zu hören. Vor allem die Vertreter der Rechtsinhaber drängten sämtlich auf eine schnelle Umsetzung der Reform. Dies sei notwendig, um baldmöglichst die Rechte der Urheber und Verwertungsunternehmen gegen Piraterie und übermäßiges Kopieren im privaten Bereich zu sichern. Vor allem die Vertreter der Unterhaltungsindustrie sowie der Verlage fühlen sich nicht nur durch die derzeit geltende Rechtslage bedroht, sondern auch durch geplante Rechtslage der Zukunft. Das massenhafte Kopieren sei gleichermaßen verantwortlich für die bestehende Misere im Musikmarkt wie für die sich abzeichnende brenzliche Situation auf dem Filmmarkt. Gefordert wurde nahezu einhellig, die Schrankenvorschriften zum privaten Gebrauch massiv einzuschränken. Die freie private Nutzung dürfe in Zukunft nur noch in solchen Fällen zulässig sein, in denen eine "legale Quelle" zur Vorlage gedient habe. Soweit technische Schutzmaßnahmen zum Einsatz kämen, solle das Interesse der Verbraucher an der Anfertigung von Privatkopien nachrangig sein. Dem privaten Nutzer dürfe kein "Recht auf private Kopien" zugesprochen werden. Einen Anspruch gegen den Rechtsinhaber, Vervielfältigungen zu privaten Zwecken trotz Kopierschutz (etwa Sicherheitskopien) anfertigen zu können, dürfe nicht anerkannt werden. Die Entscheidung über die Möglichkeit zur Privatkopie bei Einsatz von technischen Schutzmaßnahmen solle mithin allein den Rechtsinhabern überlassen werden. Dabei wurde von der Unterhaltungsindustrie beteuert, man werde schon freiwillig für derartige Möglichkeiten der Verbraucher sorgen (!).
Ähnlich hart ins Gericht gingen die Rechtsinhaber (und überraschender Weise auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. [BITKOM]) mit der Wissenschafts- und Forschungsschranke. Insbesondere der Vertreter des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels entwickelte ein Zukunftsszenario von einer Welt, in der das gesamte Angebot an Lehr- und Wissenschaftsliteratur, vom neuen § 52a RegE UrhG legitimiert, auf Schulservern für Jedermann zum Abruf zur Verfügung gestellt werde. Sollte - so der Börsenverein - § 52a RegE UrhG rechtliche Realität werden, wäre das Schicksal des deutschen Fachverlagswesens gewissermaßen besiegelt. Ob diese Befürchtung allerdings angesichts der schon jetzt sehr engen Formulierung der Wissenschaftsschranke begründet ist, scheint mehr als zweifelhaft (vgl. die Formulierung des § 52a RegE UrhG in der BT-Drcks. 15/38, http://dip.bundestag.de/btd/15/000/1500038.pdf).
Die Stimmen aus der Wissenschaft fielen dagegen wesentlich differenzierter aus. ifrOSS wies auf die Notwendigkeit der Schranken im urheberrechtlichen Kontext und die Auswirkungen von Einschränkungen derselben auf den durch das Urheberrecht geregelten Interessenausgleichs hin. Nahezu einhellig sprachen sich auch die anderen Rechtswissenschaftler gegen eine Beschränkung der Privatkopieschranke auf Vervielfältigungen von "legalen Quellen" aus. Neben der offenen Frage, was überhaupt eine "legale Quelle" sei, führe diese Forderung unweigerlich zu einer Kriminalisierung breiter Gesellschaftskreise, da die Authentizität v.a. von Inhalten, die über das Internet angeboten werden, kaum jemals beurteilt werden könne. Ebenfalls weitgehend einig waren sich die Wissenschaftler darüber, dass die Privatkopieschranke -auch aus verfassungsrechtlicher Beurteilung - eine bedeutende Rolle für den Schutz der Gemeinwohlinteressen an Zugang zu und Nutzung von Informationen und Inhalten einnehme. Neben ifrOSS forderte auch Prof. Schack, dass der Schutz technischer Maßnahmen nicht weiter gehen dürfe, als das Urheberrecht. Die Schranken - und damit auch die Vervielfältigung von Werken zu privaten Zwecken - müssten auch bei Einsatz technischer Schutzsysteme erhalten bleiben.
Wesentlich kontroverser wurde wiederum auch unter den anwesenden Wissenschaftlern über die Forschungsschranke § 52a RegE UrhG diskutiert. Während Prof. Kuhlen meinte, die Wissenschaftsschranke greife erheblich zu kurz, schloss sich Prof. Schack dem Börsenverein (und auch BITKOM) darin an, dass die Schranke gänzlich gestrichen werden solle. Auch dieser schrieb dieser Vorschrift ein erhebliches Gefahrpotential für die Fachverlage zu. Zumindest aber sei die geplante Regelung dahingehend zu beschränken, dass im Unterricht und in Forschungsnetzwerken nur eine Nutzung von "kleinen Teilen von Werken oder Werken geringen Umfangs" ohne Zustimmung der Rechtsinhaber möglich sein dürfe. ifrOSS wies dagegen auf die elementare Bedeutung der Schranke für moderne Formen der Forschung und der Lehre, z.B. im E-Learning-Bereich (zum Problem, vgl. http://www.rrz.uni-hamburg.de/hans-bredow-institut/forschung/recht/elearning.htm) hin und empfahl, die Schranke wie geplant umzusetzen.
Fazit:
Die Kontroverse um das Urheberrecht und die zukünftige Wissensordnung brennt noch immer heiß. Allen wird es der Gesetzgeber kaum recht machen können, Einigkeit ist nicht abzusehen. Ein bedenklicher Nebeneffekt dieser Uneinheit liegt darin, dass der Gesetzgeber offenbar plant, die Urheberrechtsreform in zwei Etappen durchführen zu wollen. Da die meisten Streitfragen nicht der (drängenden) Umsetzungsverpflichtung aus der EU-Richtlinie unterliegen, sollen diese auf einen zweiten Anlauf zur Reform des Urheberrechts verlegt werden. Aus Sicht der Verbraucher- und Nutzerinteressen wäre dies im Zweifel eine schlechte Entscheidung. Zunächst würde allein das Schutzrecht erweitert werden. Ein späterer Rückschritt in Form der Beschränkung einmal gewährter Rechtspositionen, scheint angesichts des massiven Lobbying der Verwertungsindustrie kaum durchsetzbar. Es bleibt daher zu hoffen, dass sich auch im Bundestag bei den für Februar und (wohl) März geplanten Lesungen die Erkenntnis durchsetzen kann, dass nur eine von vornherein ausgewogene Gesetzesreform dem Bedürfnis aller Beteiligter gerecht werden kann.