Verschärfte Diskussion um Rechtssicherheit von Freier Software

(English version)

Von: Dr. Axel Metzger und Dr. Till Jaeger
Die Diskussion um die rechtliche Sicherheit im Umgang mit Freier Software sind durch zwei aktuelle Stellungnahmen angeheizt worden. Im Abstand weniger Tage sind eine im Auftrag des VSI erstellte Studie des Göttinger Professors Gerald Spindler und ein Aufsatz des Pariser Professors Christophe Caron in der wichtigsten französischen Fachzeitschrift für Juristen (Dalloz 2003, Heft 23, S. 1556) erschienen. Im Mittelpunkt steht dabei die unter großem Presseecho veröffentlichte Studie Spindlers.

Die Pressemitteilung des VSI unter der Überschrift "Studie belegt Rechtsunsicherheiten" verkürzt das Gutachten dabei auf die Linux-kritischen Aussagen. Dies verwundert wenig, bedenkt man, dass der VSI im Wesentlichen die Interessen der "proprietären" Softwareindustrie vertritt. Im Gegensatz dazu ist das Gutachten selbst wesentlich differenzierter, die Stigmatisierung des Autors als Gegner Freier Software ist deshalb voreilig. Die aufgezeigten Rechtsprobleme sind überwiegend bereits bekannt. Spindler verweigert sich nur in Einzelfragen den Lösungen, die das bisherige Schrifttum anbietet, überwiegend trägt er das Konzept aber mit. Wo er abweicht, sind seine Lösungen angreifbar. In Einzelfragen sind Missverständnisse und Fehlinterpretationen der Lizenzen zu beklagen. Dies soll im Folgenden an einigen ausgewählten Beispielen zur GNU General Public License (GPL) näher beleuchtet werden. Eine vollständige Analyse der Arbeit Spindlers steht noch aus. Insoweit sind die gegenwärtig in Arbeit befindlichen Dissertationen von Koglin und Schulz sowie einer Neuauflage von Jaeger/Metzger, Open Source Software - Rechtliche Rahmenbedingungen der Freien Software, abzuwarten.

Verwundern muss zunächst, dass die Studie die Begriffe Freeware und Freie Software gleichzusetzen scheint (S. 18). Hierzu ist zu bemerken, dass als Freeware verbreitete Programme in der Regel gerade nicht den Definitionen der Free Software Foundation und der Open Source Initiative entsprechen, insbesondere kein Bearbeitungsrecht besteht. Die verwandte Begrifflichkeit ist deshalb unglücklich und entspricht nicht dem in Fachkreisen vorherschenden Verständnis.

Zu begrüßen ist dagegen, dass die Studie jedenfalls im Grundsatz davon ausgeht, dass auch bei komplexen Entwicklungstrukturen zahlreicher Urheber, die mit-, neben- und nacheinander an einer Software schreiben, eine Unterlassungsklage eines Urhebers "für alle" möglich ist, ohne dass die Namen aller Miturheber genannt werden müssen (S. 26). Dieses Ergebnis ist für die Frage der Durchsetzung der Lizenzen vor Gericht von kaum zu überschätzender Bedeutung, entspricht aber dem bisherigen Kenntnisstand. Wichtig und "Linux-freundlich" ist auch die Einschätzung des Gutachtens, dass eine Missachtung der Verpflichtungen aus der GPL zu einem Wegfall der Rechte führt. Die GPL selbst sagt dies in Ziffer 4; nach deutschem Recht ist dies richtigerweise als eine auflösende Bedingung gem. § 158 Abs. 2 BGB anzusehen (S. 31).

Dagegen ist es mehr als missverständlich, wenn in dem Gutachten an mehreren Stellen von einer "Pflicht zur unentgeltlichen Weitergabe der Open Source Software" gesprochen wird. Zum einen besteht überhaupt keine Pflicht zur Weitergabe, vielmehr stellt die GPL Verpflichtungen für den Fall auf, dass der Lizenznehmer freiwillig die Software weitergibt oder sich selbst zur Weitergabe verpflichtet. Eine per se bestehende Veröffentlichungspflicht besteht gerade nicht. Zum anderen darf gemäß Ziffer 1 Absatz 2 durchaus ein Entgelt für die Weitergabe des einzelnen Vervielfältigungsstücks verlangt werden, nur dürfen keine Lizenzgebühren erhoben werden. Zur schwierigen Frage der Abgrenzung, wann ein Entgelt als Lizenzgebühr anzusehen ist, findet sich leider nichts im Gutachten, dies bleibt also weiterer Forschung überlassen.

Problematisch und von zentraler Bedeutung sind die Ausführungen des Gutachtens zur Frage der wirksamen Einbeziehung von Open Source Lizenzen in Verträge mit den Nutzern. Es ist dem Gutachten zu Gute zu halten, dass es nicht bei den Grundsätzen über die Unwirksamkeit von sog. Schutzhüllenverträgen nach deutschem Recht stehen bleibt, sondern die Unterschiede beider Phänomene herausarbeitet: Während der klassische Schutzhüllenvertrag die Rechte des Verbrauchers im Hinblick auf eine schlichte Benutzung des Programms einschränkt, geben die Open Source Lizenzen dem Nutzer zusätzliche Rechte. Die Probleme, die sich beim Schutzhüllenvertrag dadurch ergeben, dass der Verbraucher ein Gut erwirbt und u.U. erst zu Hause wieder eine Einschränkung seiner Rechte erfährt, stellen sich bei GNU/Linux und Co. also gerade nicht. Hier ist das Gutachten sauber gearbeitet, gleichwohl kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich der Autor nicht gänzlich von den Parallelen zu den herkömmlichen Softwarelizenzen lösen konnte. Er prüft durchgehend die Einbeziehung der Freien Lizenzen in den Vertrag über den Erwerb des Vervielfältigungsstücks. Mit diesem Vertrag haben die Lizenzen aber gerade nichts zu tun. Erwerb der Software, sei es als Download oder als körperliche Distribution, und Erwerb der Rechte aus den Lizenzen stellen vielmehr zwei unabhängige Verträge dar. In aller Regel kommt es überhaupt nicht zum Abschluss des zweiten Vertrages, weil der "normale" Verbraucher das Programm nicht verändern, vervielfältigen oder verbreiten möchte und zur bloßen Benutzung gem. § 69d Abs. 1 UrhG keine gesonderte Nutzungsrechtseinräumung erforderlich ist. Deshalb muss die Einbeziehung der Lizenzen in den Vertrag unabhängig vom Erwerbsvorgang betrachtet werden. Bei dieser Sichtweise ergeben sich weitaus geringere Probleme als von Spindler angenommen.

Bedeutsam ist, dass die Studie die Einbeziehung der Lizenzen nicht an dieser Frage scheitern lässt, sondern an der Sprachenfrage: Eine englischsprachige Lizenz könne einem deutschen Verbraucher nicht zugemutet werden. Ob sich diese Auffassung - insbesondere bei den Gerichten - durchsetzen wird, ist mehr als fraglich. Denn schließlich wäre es als widersprüchliches Verhalten anzusehen, wenn sich der Verbraucher auf der einen Seite auf die Nutzungsrechte aus einer Open Source Lizenz berufen würde, andererseits sich aber der einhergehenden Pflichten mit Hinweis auf die Sprache entziehen könnte. Ganz abwegig scheint die Idee, den Verbraucher bevormunden zu wollen und anzunehmen, er könne überhaupt keine Rechte aus einer freien Lizenz erwerben, weil er sie nicht versteht. Gleichwohl sollte die freie Softwarewelt sich hier professionalisieren. Es wäre in der Tat wünschenswert, eine multilaterale Lizenzpolitik zu entwickeln, die sich der spezifischen Probleme des europäischen Verbraucherschutzrechts annimmt und Lizenzen in mehreren Sprachen ermöglicht.

Einen zur bisherigen rechtswissenschaftlichen Forschung völlig konträren Ansatz nimmt die Studie hinsichtlich des Umfangs der Rechtseinräumung ein. Spindler geht davon aus, dass das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung - das für den gesamten Vertrieb von Freier Software über das Internet erforderlich ist - von der GPL nicht erfasst wird (S. 61). Kaum mit gängigen Auslegungsregeln vereinbar dürfte in diesem Zusammenhang die Ansicht sein, dass die GPL das "Online-Recht" nicht erfasse, weil aufgrund internationaler Verträge auch in den USA seit 1997 zwischen körperlicher Verbreitung und making available begrifflich differenziert werden müsse (S. 44). Für die Entwickler des Linux-Kernels etwa, der mehrheitlich unter der GPL steht, dürfte auch 1991 - Geburtsjahr der GPL, Version 2 - die Verbreitung über Netzwerke nicht unbekannt gewesen sein: nachzulesen in Torvalds Autobiographie "Just for Fun".

Fazit:

Die Verkündung der großen Rechtsunsicherheit bei der Entwicklung und Nutzung von Freier Software ist vom VSI voreilig vorgenommen worden und hat mittlerweile zu entsprechend heftigen Reaktionen der Interessenvertreter für Freie Software geführt (vgl. Stellungnahme der FSF Europe und Pressemitteilung des LIVE). Die neue Studie enthält zumeist Altbekanntes und zieht nicht die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Open Source Modells in Zweifel. Vorhandene Probleme müssen nicht verschwiegen werden, führen aber nicht zu dem vom VSI propagierten Ergebnis. Es ist ohnehin fraglich, ob der VSI seinen Mitgliedern mit seiner Interpretation und dem initiierten Presserummel einen Gefallen getan hat. Auch "proprietäre" Softwareanbieter greifen in zunehmenden Maße auf Freie Software zurück und sind selbst auf Rechtssicherheit angewiesen. Die Streuung von Zweifeln an der Rechtssicherheit wird die wirtschaftliche Entwicklung nicht umkehren können. Die Softwareindustrie sollte sich auch in Zukunft mit dem Modell Freier Software auseinandersetzen anstatt es verdrängen zu wollen.