UNCTAD erachtet Freie Software als Riesenchance für Entwicklungsländer

Von Dr. Julia Küng

Der "E-Commerce and Development Report 2003" der UNCTAD (die "United Nations Conference on Trade and Development" veröffentlicht jährlich einen Bericht über die Bereiche des e-commerce und der Informations- und Kommunikationstechnologie, insbesondere im Zusammenhang mit Entwicklungsländern) beschäftigt sich in Kapitel 4 mit der Bedeutung Freier Software für Entwicklungsländer und zeigt auf, dass diese deren digitale Einbindung dramatisch verbessern kann:

Mit dem Aufstreben Freier Software ist die Softwareverwendung zu einer wichtigen politischen Angelegenheit geworden, die die Entwicklungsländer zwingt, ihre ICT-Strategien neu festlegen und diese entsprechend in ihren Entwicklungsprozess einzubinden.
Die Vorteile Freier Software liegen für Entwicklungsländer u.a. in der Unabhängigkeit von kommerziellen Anbietern, was kostenintensive Aufrüstungen und Konvertierungen erspart, wenn die Verkäufer aus technischen oder finanziellen Gründen den Support nicht mehr fortführen können. Nicht zu unterschätzen sind auch die Synergieeffekte, die die Verwendung Freier Software für die IT-Dienstleistungsindustrie aber auch die übrige Wirtschaft mit sich bringen kann. IT-Ausgaben bleiben im Land, da die Entwicklung, die Installation, das Training und der Support von heimischen Experten übernommen werden kann und jungen Talenten die Chance eröffnet wird, im eigenen Land am Aufbau einer Software-Industrie mitzuarbeiten. Es könnte einer Vielzahl von verschiedenen Kundenwünschen nachgekommen werden. Softwarelösungen würden speziell für die in diesen Ländern bestehenden Bedürfnisse entwickelt werden.
Besonders wichtig und interessant wäre auch die Möglichkeit der Berücksichtigung lokaler Sprachen und Kulturen ebenso wie technischer, wirtschaftlicher und sonstiger Besonderheiten.
Das Geld, das bislang für Lizenzen verwendet wurde, könnte für die bessere Ausbildung qualifizierter technischer Angestellter verwendet werden, die Fehler beheben könnten anstatt diese nur zu melden. Die niedrigen Kosten würden die Einführung der Informations- und Kommunikationstechnologie in Entwicklungsländern beschleunigen. Freie Software könnte auch eine neue Exportmöglichkeit für Entwicklungsländer bedeuten.
Ein weiterer Vorteil wird in einem antimonopolistischen Effekt auf den IT-Markt gesehen. Da der Wert eines Produkts mit der wachsenden Benutzerzahl steigt, wäre es möglich, dass ein minderwertiges Produkt Fuß fasst, schlichtweg weil es das einzige Erlangbare ist. Dies wiederum könnte eine Motivation für die Entwickler darstellen, Upgrades oder weitere Programme ohne Rücksicht auf die schlechte Qualität auf den Markt zu bringen. Freie Software könnte zwar Marktnischen dominieren, jedoch wäre es keinem Unternehmen möglich, den Entwicklungs- und Dienstleistungssektor ausschließlich zu beherrschen.
Neben der Erhöhung der Unabhängigkeit werden der Sicherheitsaspekt und die Verbesserung des Zugangs der Bürger zu öffentlichen Informationen durch Verwendung offener, gebräuchlicher Formate und die Möglichkeit des Erlangens kostengünstigerer Software hervorgehoben.

Der Bericht zeigt auf, dass es mehrere Ansätze zur Einführung freier Software gibt; so werden einerseits formelle (zB durch Gesetzgebung) und informelle (ohne normative Instanz) Annäherungen unterschieden und andererseits wird nach Intensitätsgrad (von der Bewusstseinsbildung bis zur Finanzierung von Forschung und Entwicklung ) und den Ebenen getrennt, auf denen die Initiative umgesetzt werden soll (z.B. national, regional). Der Bericht hebt hervor, dass das Engagement der Regierung ausschlaggebend für den Erfolg ist und stellt an Beispielen dar, wie diese tätig sein und wie Freie Software-Einführungsstrategien aussehen könnten. Außerdem ist eine (demonstrative) Liste der Entwicklungsländer, die bereits Projekte oder Erfahrungen mit Freier Software aufzuweisen haben, angefügt.

Die UNCTAD hält als Ergebnis fest, dass es viele Wege gibt, zu einer Wissens- und Informationswirtschaft zu werden. Aber wenn Informationsproduktion, -fluss und -kontrolle charakteristische Merkmale einer Gemeinschaft, Wirtschaft und Gesellschaft werden sollen, sind die Regeln, nach denen über diese Information bestimmt wird, fundamental.
Software ist eine der wichtigsten Quellen für die Regeln. Wichtig ist aber nicht nur, was die Regeln besagen, sondern wie sie gebildet werden und wer sie unter welchen Voraussetzungen verändern kann.
Freie Software sollte als mehr als nur ein Produkt betrachtet werden, nämlich als eine andere Art von Verfahren zur Bildung, Aufrechterhaltung und Veränderung von Regeln, die über die Informationsflüsse bestimmen.