Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht durch Verwertungsgesellschaften?

Von Dr. Julia Küng
 
Die Kommission hat 16 Verwertungsgesellschaften gewarnt, dass ihr sogenanntes Santiago-Abkommen über die Lizenzierung von Musikrechten im Internet möglicherweise das europäische Wettbewerbsrecht verletze. In ihrer Mitteilung hebt die Kommission hervor, dass sie das „one-stop-shop“-System zwar stark unterstütze, dass das territoriale Denken, das im Urheberrecht vorherrsche, aber nur schwer auf das Internet zu übertragen sei. Aus diesem Grund sei es notwendig, dass sich diese entscheidenden Entwicklungen und Unterschiede im Online-Bereich auch in einer größeren Wahlfreiheit für Konsumenten und kommerzielle Nutzer in Bezug auf die Diensteanbieter widerspiegeln. Das derzeit bestehende System stehe nämlich zu dieser Freiheit im Widerspruch, da es die kommerziellen Nutzer auf die in ihrem Staat bestehende monopolistische Verwertungsgesellschaft beschränke. Dieser Mangel an Wettbewerb behindere die Erreichung eines echten Binnenmarktes und könne zu einer ungerechtfertigten Ineffizienz bezüglich des Anbietens von Online-Musikstücken und zu Nachteilen für die Kunden führen. Die Kommission kommt zum Schluss, dass die territorialen Monopole, die durch das Santiago-Agreement festgelegt werden, nicht durch technische Erfordernisse gerechtfertigt und mit der weltweiten Ausdehnung des Internets unvereinbar seien. Die Verwertungsgesellschaften haben zweieinhalb Monate Zeit, auf diese Bedenken der Kommission zu replizieren. Außerdem können sie eine Anhörung verlagen, bei der sie ihre Argumente den Vertretern der nationalen Wettbewerbsautoritäten unmittelbar vortragen können.

Hintergrund:

Im Jahr 2000 wurde das sogenannte Santiago-Abkommen am Rande des CISAC-Kongresses in Santiago de Chile von den Verwertungsgesellschaften BMI (USA), PRS (Großbritannien), SACEM (Frankreich), GEMA (Deutschland) und BUMA (Niederlande) unterzeichnet. Dieses wurde der Europäischen Kommission im April 2001 zur Kenntnis gebracht. Der Vereinbarung schlossen sich in der Folge bis auf die portugiesische alle Verwertungsgesellschaften des europäischen Wirtschaftsraums sowie die schweizerische Verwertungsgesellschaft SUISA an. Das Ziel des Abkommens ist es, dem Content Provider zu ersparen, mit den Verwertungsgesellschaften aller Länder, in denen er die Musikstücke online angeboten möchte, Verträge abzuschließen, indem den Anbietern nicht ausschließliche „one-stop-shop“-Lizenzen erteilt werden. Das heißt, dass ein Anbieter nur mit der Verwertungsgesellschaft seines Landes einen Lizenzvertrag abschließen muss (und kann), in dem ihm auch die Rechte für Werke der anderen Länder erteilt werden. Die Kommission kritisiert nun das Faktum, dass keine Konkurrenz zwischen den Verwertungsgesellschaften besteht und führt als Beispiel dafür, dass die vorherrschenden monopolistischen Strukturen im Online-Bereich nicht notwenig seien, das IFPI Simulcasting Agreement an, bei dem TV- und Radiosender nicht gezwungen sind, mit einer einzigen bestimmten Verwertungsgesellschaft zu kontrahieren, sondern die Möglichkeit haben, die effizienteste Gesellschaft in Europa für die Erteilung der Lizenz zu wählen. Die Reaktion der Verwertungsgesellschaften darf mit Spannung erwartet werden.