Linux im Bundestag

Von Carsten Schulz
 
Nachdem das Vorstandsmitglied des Linux-Verbandes, Daniel Riek, in einem offenen Brief an den Bundestagsabgeordneten Kelber Stellung genommen hatte zu einem Einsatz von Freier Software im Bundestag, hat sich jetzt auch der Vorsitzende des Verbandes der Softwareindustrie (VSI), Rudolf Gallist, ebenfalls in einem offenen Brief geäußert. Er ist der Ansicht, dass eine Reihe "nicht unerheblicher Argumente" gegen den Einsatz von Linux im Bundestag stünden. Von besonderem Interesse sind dabei die Ausführungen Gallists zur Zukunftssicherheit von IT-Investitionen, den Problemen in der Mängelgewährleistung sowie möglichen Defiziten im technischen Support bei Freier Software. Zudem sei fraglich, ob es zulässig sei, einen "neuen" Ansatz von Softwareentwicklung einseitig zu fördern und damit das gesamte Geschäftsmodell der deutschen Softwareindustrie in Frage zu stellen.

Hintergrund:

Der mögliche Einsatz von Freier Software im Deutschen Bundestag stellt aufgrund seiner Signalwirkung für andere Verwaltungsstellen wie auch für Unternehmen der Privatwirtschaft eine Entscheidung von eminenter Bedeutung dar. Insoweit einige kurze Anmerkungen zur Stellungnahme des VSI:

1. Die "Zukunftssicherheit von IT-Investitionen" ist in der Tat ein kaum zu unterschätzenden Aspekt bei der Entscheidung für eine bestimmte Software. Es ist für den Anwender von entscheidender Bedeutung, dass die Software regelmäßig kostengünstig an veränderte Bedürfnisse sowie neue Entwicklungen in Hardware und korrespondierender Software angepasst werden kann. Daher ist einerseits darauf zu achten, dass ein Vertragspartner gewählt wird, der in der Lage ist, die Software über einen bestimmten Zeitraum zu angemessenen Kosten weiterzuentwickeln. Investitionen im Softwarebereich sollten aber zugleich daran ausgerichtet sein, jederzeit oder zumindest in bestimmten Abständen einen kostengünstigen Umstieg auf bessere oder preiswertere Konkurrenzprodukte zu ermöglichen. Erst dann kann ein Teilnehmer am Wettbewerb von den Vorteilen eines freien Marktes profitieren.
Beide Aspekte dürften nur beschränkt von der Frage abhängen, ob es sich um "klassische" Software oder um Freie Software handelt. Gerade bei der langfristigen Anpassung einer Software an veränderte Umgebungsbedingungen gibt es positive und negative Beispiele sowohl bei proprietärer wie auch bei Freier Software. Hier ist es Aufgabe des jeweiligen Herstellers oder (bei Freier Software) Distributors, das Vertrauen der Kunden zu gewinnen.
Ebenso ist auch die Gewährleistung eines kostengünstigen Umstiegs nur beschränkt an einem bestimmten Softwarelizenzmodell festzumachen. Denn zwar bietet die Offenlegung des Quellcodes hier möglicherweise gewisse Vorteile für die Freie Software. Ein kostengünstiger Umstieg kann aber auch bei proprietärer Software möglich sein, solange der Anbieter offene Dateiformate gewährleisten kann, deren (kostenlose) Nutzung auch durch Verwendung von Konkurrenzprodukten möglich ist. Hierzu wird freilich ein kleiner Anbieter eher bereit sein als ein (Quasi-) Monopolist.

2. Die Frage der "Gewährleistung" stellt sich bei Freier Software in gleicher Weise wie bei proprietärer Software. Zunächst: Die Feststellung eines Softwaremangels ist unabhängig vom zugrundeliegenden Softwarelizenzmodell vielfach schwierig. Denn eine hundertprozentige Fehlerfreiheit ist schon deshalb nicht zu gewährleisten, da Interoperabilität mit einer Vielzahl verschiedenster Hardware- und Softwarekomponenten herzustellen ist. Es verwundert daher auch nicht, dass eine Reihe proprietärer Softwareanbieter ihre Kunden bei der Erstinstallation ausdrücklich darauf hinweisen, dass Computerprogramme niemals vollständig fehlerfrei laufen können.
Dennoch sind selbstverständlich ebenso bei Freier Software wie auch bei proprietärer Software Fälle denkbar, in denen das Computerprogramm mit einem Mangel behaftet ist. Hier ist allerdings die Frage der Gewährleistung bei Freier Software keineswegs ungeklärt. Grundsätzlich haftet - trotz des Haftungsausschlusses in den freien Softwarelizenzen - zwar nicht der einzelne Entwickler, wohl aber der unternehmerisch handelnde Distributor, der ein Paket mit Freier Software, einem Handbuch und weiteren Serviceleistungen zu einem Gesamtpreis verkauft, nach Kaufmängelgewährleistungsrecht.
Hinzu kommt, dass es bei einem Vertragsvolumen von mehreren tausend Computer-Arbeitsplätzen üblich und angemessen ist, die Gewährleistungspflichten des Anbieters im Einzelnen vertraglich festzulegen. Dies ist auch bei Freier Software nicht anders, denn die gängigen freien Lizenzen gestatten es den Anbietern explizit, gegen ein entsprechendes Entgelt zusätzliche Gewährleistung anzubieten. In der Regel wird ohnehin mit Abschluss des Softwarelieferungsvertrags zeitgleich ein Vertrag über die Pflege der Software ("Support") geschlossen, wobei für den gesetzlichen Gewährleistungszeitraum verminderte Gebühren für die Service-Leistungen zu entrichten sind. Freie Software steht in puncto Gewährleistung der herkömmlich lizenzierten Software deshalb faktisch nicht nach. Sie wartet bei der Frage des Softwarepflege sogar mit einem Vorteil gegenüber proprietärer Software auf: Service und Support finden in einem freien Wettbewerb unterschiedlicher Anbieter statt.

3. Es ist durchaus fraglich, ob eine Entscheidung für Freie Software zwangsläufig zur Folge hat, dass zu Lasten der "klassischen" Softwarehersteller ein Geschäftsmodell einseitig gefördert wird. Grundsätzlich stellt jedenfalls die Entscheidung zwischen zwei konkurrierenden Produkten, solange sie auf sachlichen Entscheidungen beruht, keine unzulässige Bevorzugung dar, sondern ist Kernstück unserer Wettbewerbsordnung.