Ein GNU, die Herde und ihr Hirte - Stallman entlässt Hurd-Entwickler wegen Streit über Content-Lizenz des GNU-Projekts

Von RA Olaf Koglin
 
Thomas Bushnell, seit Jahren der Hauptentwickler des Kernels des GNU-Systems, wurde vom Gründer der Free Software Foundation Richard M. Stallman aus seinem Amt als Maintainer des Hurd-Kernels entlassen. Hintergrund waren seine öffentlichen Äußerungen über die von Stallman und dem GNU-Projekt verwendete GNU Free Documentation License (GFDL).

Hintergrund:

Richard M. Stallman gründete 1984 in Boston die Free Software Foundation, um ein UNIX-artiges Betriebssystem als "Freie Software" neu zu schreiben. Dieses Projekt erhielt als sog. rekursives Akronym den Namen GNU, der für "GNU´s Not Unix" steht. Sowohl Teile der Software des Projekts - hier sei nur beispielhaft der GNU-C-Compiler genannt - als auch die von Stallman für das Konzept "Freie Software" entworfene Lizenz GNU General Public License (GPL) machten weltweit Karriere. Der eigentliche Kern des Betriebssystems (engl. kernel) lautet hurd - zu Deutsch also die Herde der GNU´s - und ist bis heute nicht wirklich funktionsfähig. Diese Lücke wurde durch den auf Linus Torvalds zurückgehenden Kernel Linux geschlossen, der ebenfalls unter der GPL steht.

Neben der GPL hat die FSF eine Reihe weitere freier Lizenzen entworfen. Die GNU Free Documentation License (GFDL) soll eine Lizenz für die freie Verwertung von Dokumentationen und anderen Texten sein. Sie enthält die Möglichkeit, bestimmte Bereiche als "Invariant Sections" zu markieren. Diese Bereiche dürfen dann nicht verändert oder gekürzt werden (Sec. 4 Abs. 1, lit. L und Sec. 5 der GFDL). Bushnell hat - wie viele andere auch - diese Lizenz kritisert und in Frage gestellt, ob es sich um eine freie Lizenz handelt, da die ihr unterliegenden Texte nicht uneingeschränkt bearbeitet werden. Laut Bushnells Posting an die Mailingliste gnu-prog-discuss@gnu.org war dies der Auslöser, dass Stallman in von seinen Aufgaben bei der Hurd-Entwicklung entbunden hat:

RMS has now "dismissed" me as Hurd maintainer because I have publicly spoken against the GFDL, saying that a GNU maintainer must support and speak in favor of GNU policies.
Neben diesem (macht-) politischen Geschehen hat die GFDL interessante inhaltliche Fragen. Dies beginnt mit der von Bushnell angesprochenen Frage, ob es sich bei ihr auf Grund der Einschränkungen bezüglich der "Invariant Sections" tatsächlich um eine Open Content Lizenz handelt. Urheberrechtlich ist zu hinterfragen, ob solche Einschränkungen des Nutzungsrechts mit sog. dinglicher Wirkung möglich sind. Dabei kommt hinzu, dass gem. Sec. 1 Abs. 4 GFDL "invariant sections" nur bezüglich "Secondary Sections" möglich sind, also bezüglich (schwer abgrenzbarer) Zusatzinformationen, die nicht den Kerninhalt des Textes betreffen. Womit sich die nächste Unklarheit aufdrängt: Wer bestimmt, was Kerninhalt eines Werkes ist?