EU veröffentlicht Grünbuch zur "Knowledge Economy"

Von Dr. Till Kreutzer
 
"Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft" ist ein neues Grünbuch (pdf, ca. 100 kB) der EU (Drucksache KOM(2008) 466/3) überschrieben. Das Papier widmet sich den Auswirkungen des Urheberrechts auf die "wissensbestimmte Gesellschaft" wie "knowledge economy" an einer Stelle des Grünbuchs auf deutsch übersetzt wird bzw. die "wissensbestimmte Wirtschaft" (!) wie es an anderer Stelle der Übersetzung heißt. Die Veröffentlichung des Grünbuchs soll den Auftakt einer öffentlichen Konsultation über urheberrechtliche Ausnahmen für Bibliotheken und Archive, behinderte Menschen, Unterrichts- und Forschungszwecke und nutzergenerierte Inhalte bilden. Auf diesem Wege soll eruiert werden, ob und inwieweit der in der InfoSoc-Richtlinie (2001/29/RG) abschließend formulierte Katalog von urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen den Anforderungen der Wissensgesellschaft gerecht wird.

Hintergrund:

Die Einleitung des Grünbuchs beginnt viel versprechend, scheint sie doch von der Einsicht geprägt zu sein, dass die InfoSoc-Richtlinie zwar zu einer Harmonisierung und Ausweitung der Urheberrechte, nicht aber zu einer entsprechenden Entwicklung der Schrankenbestimmungen geführt hat. Mit anderen Worten: Dass dies dazu führt, dass Schutzrechten und Nutzungsfreiheiten auseinanderdriften und es zu weiter gehenden Ungleichgewichten im urheberrechtlichen Interessensausgleich führt, scheint nunmehr auch von der EU erkannt worden zu sein. Dies würde erklären, warum die durch die InfoSoc-Richtlinie erst im Jahr 2001 gewählten Instrumente schon jetzt auf den Prüfstand gestellt werden. Auf Seite 5 des Grünbuchs heißt es etwa: "Durch die Richtlinie wurde das Recht der Urheber auf Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe und Verbreitung harmonisiert. Da diese Harmonisierung in erster Linie darauf abzielte, für die Rechteinhaber einen hohen Schutz zu gewährleisten, wurden die ausschließlichen Rechte äußerst weit gefasst. ... Die Richtlinie hat nicht nur die ausschließlichen Rechte an die Welt des Internet angepasst, sondern auch eine erschöpfende Liste von Ausnahmen vom Urheberrechtschutz eingeführt, obgleich hierzu keine internationale Verpflichtung bestand. Diese Ausnahmenliste zielt offenbar in erster Linie darauf ab, die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, neue Ausnahmen einzuführen oder bestehende über das nach der Richtlinie zulässige Maß hinaus auszuweiten, zu beschränken." Nüchtern stellen die Verfasser des Grünbuchs weiter fest (Seite 4 am Ende), dass der Umstand, dass die Ausnahmen - anders als die Schutzrechte - in der Richtlinie nicht verbindlich vorgegeben waren, dazu geführt hat, dass die Mitgliedstaaten sie "wenn sie sie überhaupt in nationales Recht übernommen haben, oftmals enger gefasst [haben] als in der Richtlinie [vorgesehen]." Bekanntlich wurde diese Regelungstechnik - da derartige Folgen zu erwarten waren - von vornherein als zu verwerterfreundlich weithin kritisiert. Die Auswirkungen sollen nun, bezogen auf bestimmte, für die Wissensgesellschaft besonders bedeutsame, Bereiche überprüft werden.

Die Problemlage in Bezug auf Bibliotheken und Archive wird wie folgt beschrieben: Einerseits wachse das Bedürfnis solcher Institutionen, Bestände nicht nur zu erhalten, sondern auch (online) verfügbar zu machen. Andererseits sieht der abschließend formulierte Schrankenkatalog des europäischen Urheberrechts nur sehr eng begrenzte Ausnahmen für die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung von Werken durch die Wissensvermittlungseinrichtungen vor. Eine Schrankenbestimmung etwa, die den Bibliotheken erlauben würde, ihre Bestände online bereit zu stellen, gibt es bislang nicht. Umso weniger erlauben die EU-rechtlichen Bestimmungen derartige Ausnahmeregelungen für (teilweise) kommerzielle Projekte wie zum Beispiel die Google Book Search. Ebenso wenig gibt es bislang eine gemeinschaftsweite Lösung für die Problematik der "verwaisten Werke". Dies führt dazu, dass Werke aus den Beständen von Archiven und Museen massenhaft nicht mehr genutzt werden können, weil sie zwar noch geschützt, ihre Rechtsinhaber jedoch nicht mehr auffindbar sind.

Auch die berechtigten Interessen von behinderten Menschen sollen erneut auf den Prüfstand gestellt werden. Sie haben vor allem das Problem, Werke in ein für sie wahrnehmbares Format zu übertragen (etwa in Braille-Schrift, Hörbücher oder Ähnliches). Zwar gestattet die InfoSoc-Richtlinie den Mitgliedstaaten eine Schrankenregelung aufzunehmen, nach der es erlaubt ist, Werke für derartige Zwecke zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Alle Mitgliedsstaaten haben - so das Grünbuch - von dieser Möglichkeit auch in unterschiedlichem Maße Gebrauch gemacht (so auch Deutschland durch Einführung des § 45a UrhG). Allerdings ist die Umwandlung in behindertengerechte Formate nach wie vor meist mit großem Aufwand verbunden, der unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die Rechteinhaber keinerlei Pflichten treffen, ihre Werke in bestimmten Formaten zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommt, dass die Datenbank-Richtlinie keine Ausnahme für behinderte Menschen vorsieht, was die Gefahr birgt, dass "die in Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Ausnahme durch Berufung auf den Datenbankschutz mit dem Argument ausgehebelt werden könnte, ein bestimmtes literarisches Werk sei gleichzeitig als Datenbank geschützt." (siehe Seite 14 des Grünbuchs).

Als weiteren großen Komplex spricht das Grünbuch die Verbreitung geschützter Werke zu Unterrichts- und Forschungszwecken an. Lehrkräfte und Studierende seien auf digitale Inhalte angewiesen, die Informationsbeschaffung und -vermittlung in Lehre und Forschung gründe heute in weiten Teilen auf Online-Inhalten. Es bestehe allerdings die Gefahr, "dass gegen das Urheberrecht verstoßen wird, wenn Digitalisierung und/oder Zurverfügungstellung von Kopien von Forschungs- und Studienmaterialien unter das Urheberrecht fallen." Das europäische Urheberrecht erlaube diesbezüglich derzeit lediglich die Nutzung von Werken zur Veranschaulichung im Unterricht oder für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung (so Artikel 5 Absatz 3a der RL 2001/29/EG. Auf Basis dieser Vorgabe wurde in Deutschland der § 52a UrhG eingeführt). Indes: "Diese Ausnahme wurde häufig eng ausgelegt und schließt Fernlernen oder internetgestütztes Lernen zu Hause aus. Auch gilt sie häufig nur für die Vervielfältigung von Auszügen, nicht aber des gesamten Forschungsmaterials. Einige Mitgliedstaaten haben zwar eine Ausnahme für Unterrichtszwecke, aber keine für Forschungszwecke vorgesehen." resümiert das Grünbuch. Problematisch erscheint zudem erneut, dass die Mitgliedstaaten (sofern sie von dieser Möglichkeit überhaupt Gebraucht gemacht haben) sehr unterschiedliche Regelungen mit zum Teil sehr restriktivem Anwendungsbereich implementiert haben (siehe im Grünbuch Seite 16-17). So erstreckt sich die Gestattung in einigen Ländern nicht einmal auf Online-Angebote, sondern erfasst nur Vervielfältigungen (was Fernlehre unter Einsatz geschützter Werke unmöglich macht).

Auf großes Interesse dürften schließlich auch die Ausführungen des Grünbuchs über nutzergenerierte Inhalte stoßen. Die Verfasser des Grünbuchs statuieren zunächst, dass es derzeit im europäischen Urheberrecht keine Regelung gebe, "die es erlauben würde, bestehende, urheberrechtlich geschützte Inhalte zur Schaffung neuer oder abgeleiteter Werke zu nutzen." "Die Verpflichtung, sich vor der Veröffentlichung von Adaptionen erst der Rechte des zugrunde liegenden Werks zu versichern, kann als Innovationshindernis angesehen werden, da sie der Verbreitung neuer, potenziell wertvoller Werke im Wege steht." wird das Problem im Anschluss umrissen, gleichzeitig aber klargestellt, dass eine etwaige Ausnahmeregel verhindern müsse, dass den wirtschaftlichen Interessen der Rechteinhaber geschadet würde. Eine derartige Regelung (man könnte sie als Sampling-Schranke bezeichnen) sei konkret zu fassen und auf bestimmte Nutzungshandlungen zu beschränken.
 
Fazit

Die Ausführungen klingen - im Hinblick auf die dringend notwendige Kurskorrektur der Urheberrechtsentwicklung - zunächst einmal viel versprechend. Unverständlich ist angesichts der zum Teil doch sehr selbstkritisch anmutenden Formulierungen des Grünbuchs jedoch, dass das Thema Schutz technischer Maßnahmen und Schrankenbestimmungen mit keinem Wort angesprochen wird. Denn es nützt wenig, neue Nutzungsfreiheiten zu schaffen oder alte auszuweiten, wenn es bei dem jetzigen System bleibt, nach dem die Rechteinhaber durch Verwendung von Kopierschutz- oder DRM-Systemen auf ihre (vor allem online bereitgestellten) beliebig steuern können, ob von Nutzungsfreiheiten überhaupt Gebrauch gemacht werden kann und darf. Dennoch: Wer sich für den Erhalt oder besser: die Neuorganisation des urheberrechtlichen Interessenausgleichs stark machen will, sollte zu den im Grünbuch gestellten Fragen bis zum 30.11.2008 Stellung nehmen. Solche Gelegenheiten ergeben sich selten.