Das Aussterben der Filesharing-Systeme

Von Till Kreutzer
 
Nach und nach verschwinden sie alle, die beliebten Tauschbörsen. Napster, mp3.com, Aimster, Morpheus, Audiogalaxy; bald auch Kazaa?! Einst als "killer applications" mit ungeahnten Möglichkeiten gefeiert, Millionen von Nutzern innerhalb weniger Monate gewonnen, dann angeprangert, als Tummelplatz für "Entertainment-Piraten" verschrien und mit juristischen Mitteln vernichtet. Die etwa dreijährige Geschichte der Filesharing- oder Peer-to-Peer-Systeme ist bewegt und von Extremen geprägt. Die Erfolgsquote ist beispiellos, Filesharing hat in der kurzen Zeit seiner Existenz so ziemlich alle Rekorde gebrochen. Die Software mit der höchsten Nutzerwachstumsrate aller Zeiten war Napster im Jahr 2000: 345 % Userzuwachs in weniger als einem halben Jahr ermittelten die Marktforscher.
Die Angaben über die Nutzerzahlen schwankten: in den Höchstzeiten sollen zwischen 30 und 60 Millionen Menschen in aller Welt das System zum Tauschen von Musikstücken benutzt haben.
Das Erfolgsrezept zu beschreiben ist nicht so einfach, wie man denken sollte. Es changiert im Lichte der eigenen Ausgangsposition. Die meisten Vertreter der Musik- und Filmindustrie führen den Erfolg allein darauf zurück, dass man dort umsonst bekommt, was man sonst bezahlen müsste. Die Nutzer der Systeme streiten das sicher nicht vollends ab, haben aber auch andere Argumente parat. Die Vorzüge solcher Systeme gegenüber dem herkömmlichen Musikkauf sind nicht Wenige: statt ganzer CDs kann man sich dort von anderen Nutzern einzelne Titel herunterladen. Man kann sich die neue Madonna-Scheibe ausgiebig anhören, bevor man sie kauft. Vor allem aber trifft man in den Systemen so viele Gleichgesinnte, dass man dort Sachen findet, die man sonst gar nicht (mehr) bekommen könnte.
Auch das Potential und die Wirkungen der Tauschbörsen werden denkbar unterschiedlich bewertet. Dies beginnt bei den Musikern und Komponisten: die einen meinen, Filesharing sei der Untergang der kommerziellen Musik; Vergütungen würden versanden, die man sich durch seine kreative Arbeit verdient habe. Die anderen heißen die riesigen Foren als neue Art von Präsentations- und Distributionsplattformen willkommen und speisen ihre neuen Titel freiwillig ein.
Über die Auswirkungen stritten sich auch die Marktforscher in einer unüberschaubaren Zahl von Studien: die einen wollen erkannt haben, dass die Milliardenverluste der Musik- und Filmindustrie zu einem Gutteil auf das ungehemmte Tauschen zurückzuführen seien. Wer bei Kazaa einen Titel herunterlade, kaufe eben nicht mehr. Ganz logisch oder?! Nicht so die Experten, die genau das Gegenteil behaupten: die Nutzer von Filesharing-Systemen kauften danach mehr Tonträger, sie holten sich peer-to-peer nur Anreize. Die (zweifellos existenten) Umsatzeinbrüche seien dagegen Folge des allgemeinen Wirtschaftsabschwungs und der steigenden Beliebtheit von Handys und Videospielen, die bei den Jugendlichen gegen die Musik konkurrieren. Die Wahrheit liegt sicherlich irgendwo dazwischen.
Diese Kontroversen allein führen indes nicht zu den für das Filesharing-Lager verheerenden Folgen. Das Recht ist es vielmehr, dass es der Entertainment-Industrie ermöglicht, die Hersteller von Filesharing-Software, die Betreiber von Servern oder ganzer Systeme zum Aufgeben zu zwingen.

Hintergrund:
Der Anfang vom Ende war die Einleitung des großen Verfahrens der amerikanischen Musikindustrie gegen Napster. Innerhalb von einem Jahr war die prosperierende Tauschbörse von einem Massenphänomen zu einer Inhaltswüste "zusammengeklagt" worden. Mittlerweile ist das System, hinter dem eine der wohl wegweisensten Innovationen der modernen Informationstechnologie steckt, in das Alleineigentum von Bertelsmann Übergegangen und seit einem Jahr offline. Ursache für diese rasante Talfahrt war besagter Rechtsstreit, der danach als Musterprozess für etliche weitere juristische Vorgehen der Musik- und Filmindustrie diente. Amerikanische Richter attestierten Napster eine Verantwortlichkeit für das nach deren Ansicht rechtswidrige Tun der Nutzer. Man verbot zwar nicht die Technik an sich ("denn diese kann auch zu nicht-rechtswidrigen Zwecken genutzt werden"), gab aber Napster so strenge Auflagen auf, dass in dem System, wo einst jeder bekam, was er suchte, nur noch Fehler- und "not found"-Meldungen zu finden waren.
Wie die Napster-Nutzer reagierten braucht wohl nicht näher verdeutlicht zu werden. Das Pendant war schnell gefunden. Filesharing war damit bei Napster tot. Mit dem Urteil in der Tasche wurden in der Folgezeit auch die anderen Systeme mit Klagen überhäuft. Nicht selten streckten die Bedrängten aus finanzieller Not bereits so frühzeitig die Waffen, dass es zu weiteren gerichtlichen Entscheidungen gar nicht mehr kam. Dabei sind auch aus Sicht des amerikanischen Rechts bis heute allerhand Fragen offen, die im Napster-Prozess nicht behandelt wurden.
So war Napster eine zentrale Tauschbörse, die vollständig, also von der Entwicklung des Protokolls über die Clientsoftware bis zum Betrieb der benötigten Index-Server, von nur einer einzigen Gesellschaft (der Napster Inc.) betrieben wurde. Dagegen ist beispielweise Gnutella ein System, das vollständig dezentral abläuft. Nur die Clientsoftware, von der viele verschiedene Fassungen existieren, die zum Teil in Open-Source-Communities entstanden sind, ist nötig, um teilzunehmen. Keine Server, keine zentral gesicherten Daten, sondern nur ein durch das Protokoll hergestellter Verbund aus einigen Millionen "Einzeltätern".
Wenn man mal davon ausgeht, dass auch das Tauschen der Gnutella-Nutzer rechtswidrig ist: Kann man dann auch den Open-Source-Entwickler, der am Protokoll mitgewirkt hat, verklagen? Vor allem nach deutschem Recht sind all diese Fragen bislang ungeklärt. Ein Gerichtsurteil zu Filesharing existiert nicht, die Rechtswissenschaftler sind sich uneinig (siehe die Nachweise in der Dokumentation unter http://www.hgb-leipzig.de/~vgrass/semi-napster/symp.html).
Klar ist dennoch eins: ganz gleich, was die Juristen meinen, die Distribution von geschützten Inhalten wird in Zukunft andere Wege als über CDs oder DVDs gehen. Mit oder ohne die kommerziellen Online-Angebote der Musikindustrie. Chuck D, Frontmann der Hip Hop Band "Public Enemy" hat Filesharing einst mit einer Krake verglichen. Schlägt man einen Arm ab, wachsen zwei neue nach. Ein bedenkenswerter Faktor. Bedenkenswert vor allem, da dies die Frage aufwirft, was die Industrie mangels Möglichkeit einer absoluten Kontrolle des Online-Bereichs gegen unautorisierte Angebote in Filesharing-Netzen unternehmen kann. Begriffe wie "Mehrwert", "Preissenkung" und "Akzeptanzgewinnung" werden bei diesen Überlegungen wohl eine Rolle spielen müssen.
Ein Aussterben der Online-Verbreitung von Musik, Film und Bild ist dagegen wohl für Niemanden erstrebenswert. Wenn man annehmen kann, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt, haben Filesharing-Systeme wie Napster und Morpheus gezeigt, wohin die Reise gehen muss. Es bleibt spannend zu sehen, wie die Konzerne hierauf reagieren. Bisherige Ansätze, die Grundidee zu kommerzialisieren (vergleiche Musicnet oder Pressplay), scheinen jedenfalls gescheitert. Sollte es wirklich keine Möglichkeit geben, Filesharing attraktiv und gleichzeitig rentabel zu gestalten?