Rechtssituation Minderjähriger bei GPL-Projekten

Frei ab 18 Jahre

Axel Metzger

"YOU CERTIFY THAT YOU ARE NOT A MINOR": Diese Erklärung mussten Corel-Kunden durch Anklicken des Accept"-Buttons bestätigen, bevor sie in den Genuss eines GNU/Linux-Downloads gekommen sind. Nach Protesten von Richard Stallman und Bruce Perens wurde der Passus nach einigen Wochen schließlich gestrichen. Geblieben ist die Frage nach der rechtlichen Wirksamkeit der Teilnahme von Minderjährigen an freien Entwicklungsprojekten und der Zul.ssigkeit entsprechender Sicherheitsvorkehrungen" seitens der Distributoren.

Die Geschichte des digitalen Zeitalters belegt durch zahlreiche Beispiele, dass man das Kreativ-Potential Minderjähriger nicht unterschätzen sollte. Neben Freude über den Schaffensdrang der unter 18-Jährigen machen sich beim juristisch geschulten Beobachter aber beim Stichwort "Minderjährige" stets auch gewisse Alarmglocken bemerkbar. Denn Minderjährige sind gem. §§ 104 ff. BGB entweder zur Gänze geschäftsunfähig oder aber, soweit sie das siebente Lebensjahr vollendet haben, nach der Formulierung des Bürgerlichen Gesetzbuchs "beschränkt geschäftsfähig".

Dadurch stellen sich aus der Sicht der Open Source Software gleich mehrere Fragen: Können Minderjährige überhaupt in rechtswirksamer Weise an der Entwicklung freier Software teilnehmen? Die zweite Frage greift den erwähnten praktischen Fall aus dem letzten Jahr auf: Kann ein Distributor zur eigenen juristischen Absicherung, den Download seiner GNU/Linux-Distribution auf Erwachsene einschränken oder verletzt er dadurch die GPL (GNU General Public License)? Die unter sieben Jahre alten Programmierer werden im Folgenden vernachlässigt. Sollten praktische Fragen im Hinblick auf diese Altergruppe auftauchen, bitte ich um entsprechende Hinweise an das ifrOSS...

Rechtswirkungen auch bei Minderjährigen?

Zunächst zur ersten Frage. Kann der Minderjährige selbst in rechtlich wirksamer Weise an einem OSS-Projekt teilnehmen, insbesondere kann ihm ein Nutzungsrecht nach der GPL eingeräumt werden? Die Problemstellung mag auf den ersten Blick verwundern, denn wer sollte etwas gegen "Geschenke" an unter 18jährige haben. Dieser Gedanke findet sich - im Grundsatz - auch durch § 107 BGB bestätigt: "Der Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters." Soweit durch die Willenserklärung des Minderjährigen lediglich Rechte und nicht auch Pflichten auf ihn zukommen, kann er also ohne Einwilligung der gesetzlichen Vertreter Verträge abschließen. Nun kommt es beim Download oder spätestens bei der ersten Benutzung eines freien Programms aber zum Abschluss eines Vertrages, durch den dem User zwar einerseits die Nutzung gestattet wird, durch den er aber andererseits auch die anderen Bestimmungen der GPL akzeptiert. Und hier beginnen die Probleme: Kann man die Bestimmungen der GPL für den Minderjährigen als "lediglich rechtlich vorteilhaft" im Sinne des § 107 BGB einstufen? Auf den ersten Blick ja, denn er erhält kostenlos die "vollen Nutzungsrechte" an der Software. Wie so oft lohnt sich aus der juristischen Sicht aber ein zweiter Blick in die Details der Lizenzbestimmungen.

Problematisch aus der Sicht des Minderjährigenrechts ist die zentrale Bestimmung des § 2 b GPL. Laut § 2 b GPL muss jeder Nutzer von Copyleft-Software dafür sorgen, dass eine von ihm "verbreitete oder veröffentlichte Arbeit, die ganz oder teilweise von dem Programm abgeleitet ist, Dritten gegenüber als Ganzes wieder unter den Bedingungen dieser Lizenz ohne Lizenzgebühren zur Verfügung gestellt wird." Der User muss Derivate also wieder unter die GPL stellen, das ihm eingeräumte Recht zur Nutzung ist dadurch mit einer Art Auflage versehen.

Schenkungen unter Auflagen gem. § 525 BGB werden aber nicht als zustimmungsfrei angesehen, denn sie bringen für den Minderjährigen neben den unbestrittenen Vorteilen auch rechtliche Pflichten mit sich. Dass die Vorteile bei Copyleft-Software in den allermeisten Fällen die Pflichten in wirtschaftlicher Hinsicht bei weitem überwiegen, ist nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne Belang, denn auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise kommt es im Rahmen des § 107 BGB nicht an. Der Minderjährige kann die Bedingungen der GPL also nicht nach freiem Belieben akzeptieren.

Gesetzesvertreter

Nun ist dadurch seine Teilnahme an einem freien Entwicklungsprojekt aber nicht bereits ausgeschlossen. Denn § 107 BGB erwähnt ja für alle sonstigen Rechtsgeschäfte die Möglichkeit einer Einwilligung durch die Eltern. Allerdings sind auch hier manche Fallstricke zu beachten. Grundsätzlich können Eltern nur in klar überschaubare Rechtsgeschäfte einwilligen. Es leuchtet unmittelbar ein, dass der Minderjährigenschutz des Gesetzes sonst zu einfach ausgehebelt werden könnte, wenn es den Eltern gestattet wäre, vorab in pauschaler Weise in alle künftigen Geschäfte des Minderjährigen einzuwilligen.

Möglich ist aber ein sogenannter "beschränkter Generalkonsens": Eltern können auch für einen bestimmten Kreis von Rechtsgeschäften, die zwar noch nicht im einzelnen individualisiert, aber doch zumindest vorhersehbar sind, eine Art "Generaleinwilligung" erteilen. Klassisches Beispiel ist der "Auswärtsschüler". Dieser darf alle mit Zimmermiete und dem täglichen Brot zusammenhängen Geschäfte tätigen. Entscheidend für die Zulässigkeit eines solchen "beschränkten Generalkonsenses" ist jedoch, dass es sich um einen deutlich abgegrenzten Bereich handelt.

Die Teilnahme an einem freien Entwicklungsprojekt kann wohl als ein solcher, überschaubarer Geschäftskreis eingeordnet werden, so dass bei Vorliegen einer Einwilligung des gesetzlichen Vertreters auch eine rechtswirksame Teilnahme des Minderjährigen an der Entwicklung freier Software möglich ist. Grundsätzlich kann diese Einwilligung der Eltern gem. §§ 107, 182 BGB gegenüber dem Geschäftspartner oder gegenüber dem Minderjährigen erklärt werden. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob es einem OSS-Projekt Vorteile bringt, wenn die Einwilligung gegenüber der Entwicklergemeinschaft und nicht gegenüber den Eltern erteilt wird, denkbar wäre etwa ein dem Download vorangestelltes Formular.

Letztlich erscheinen solche Absicherungen aber als verzichtbar - ganz abgesehen davon, dass ein freies Entwicklungsprojekt ohnehin nicht überprüfen kann und will, ob die teilnehmenden Programmierer bereits die Volljährigkeit erreicht haben. Denn ob ein Minderjähriger nun mit oder ohne Einwilligung handelt, ändert ja zunächst nichts daran, dass es den Interessen eines OSS-Projekt kaum widersprechen wird, wenn ein unter 18jähriger die Software nutzt, verändert oder vervielfältigt.

Interessant wird die Frage nach dem tatsächlichen Vorliegen der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter und damit nach der rechtlichen Bindungswirkung der GPL erst dann, wenn der Minderjährige, der ein wirtschaftlich interessantes Tool gebastelt hat, dieses nach Erwerb der Volljährigkeit "proprietär" nutzen will und sich darauf beruft, als Minderjähriger keine rechtlichen Pflichten durch die Nutzung der freien Software eingegangen zu sein. Aber auch in diesem Fall kann es dem OSS-Projekt letztlich gleichgültig sein, ob eine wirksame Einwilligung vorgelegen hat oder nicht.

Denn wenn der Minderjährige die Unwirksamkeit behauptet, so kann sich das OSS-Projekt auf die - dann ja ebenfalls nicht eingeräumten - Nutzungsrechte berufen, ohne die der Minderjährige das Derivat nicht verbreiten darf. Mit anderen Worten, stellt sich ein Minderjähriger auf den Standpunkt, die Pflichten der GPL nicht in rechtlich wirksamer Weise akzeptiert zu haben, so kommt er auch nicht in den Genuss der Rechte aus der Lizenz. Er darf sein Tool in diesem Fall nicht weiterverbreiten. Dem OSS-Projekt kann es also letztlich egal sein, ob sich der Minderjährige wirksam verpflichtet kann, denn so oder so ist eine proprietäre Nutzung von Derivaten unmöglich.

Bruce Perens emphahl rechtliche Schritte gegen Corel

Der Fall Corel

Ob die Zustimmung eines Minderjährigen im Hinblick auf die rechtlichen Verpflichtungen aus der GPL bindende Wirkung hat, hängt also entscheidend von der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter ab. Ein GNU/Linux-Distributor wird aber in aller Regel weder von der Minderjährigkeit noch vom Vorliegen oder dem Fehlen einer elterlichen Einwilligung wissen. Darf er deswegen zur juristischen Absicherung nach Art einer Radikallösung alle Minderjährigen vom Bezug seiner GNU/Linux-Distribution ausschließen?

Dass diese Frage durchaus von praktischer Relevanz ist, belegt der bereits erwähnte "Fall Corel". Corel hat seine GNU/Linux-Distribution als Download im Netz angeboten. Wer den Download runterladen wollte, musste aber vorher ein "End User License Agreement" mit "Accept" anklicken, welches unter anderem auch die Erklärung enthielt: "YOU CERTIFY THAT YOU ARE NOT A MINOR". Bei dieser "Lizenzbestimmung" handelte es sich nicht um eine lediglich auf den Kopiervorgang bezogene Download-Vereinbarung, sondern um einen echten Lizenzvertrag ("ATTENTION: THIS IS A LICENSE, NOT A SALE.").

Durch das Anklicken des "Accept"-Buttons - so wurde man durch den Lizenztext aufgeklärt - akzeptiere man, dass alle "freien" Programmteile unter der GPL stehen, während "proprietäre" Anwendungsprogramme nicht frei kopiert, vervielfältigt, verändert werden dürfen. An jedes Einzelprogramm sei eine weitere Lizenzbestimmung angehängt, auf diese bezog sich das End User License Agreement ausdrücklich.

Die Reaktionen der Community ließen nicht lange auf sich warten. Richard Stallman machte seinem Ärger auf der www.debian.org-mailinglist Luft: "Abscheulich", Bruce Perens regte an gleicher Stelle an, dass man rechtliche Schritte wegen dieser Verletzung der GPL einleiten müsse. Letztlich hat Corel eingelenkt, das angesprochene End User License Agreement wurde entfernt. FSF-Urgestein Bob Chassell hat auf dem 2. Braunschweiger Linux-Tagen zurecht darauf hingewiesen, dass man Corel wegen dieser Aussperrung der Minderjährigen nicht an den Pranger stellen sollte. Sie haben die GPL - so Bob Chassell - verletzt, ohne dies zu wissen und zu wollen.

Hat Corel durch das exklusive Vertreiben von GNU/Linux-Distributionen tatsächlich die GPL verletzt? Hierzu gilt es zwei Aspekte auseinanderzuhalten. Jede GNU/Linux-Distribution beinhaltet einerseits Software, an denen der Distributor selbst die Urheberrechte hält und andererseits - und dies wird in den meisten Fällen der größere Teil sein - solche Software, bei der andere Programmierer, insbesondere FSF und Linus Torvalds, die Inhaber der Urheberrechte sind.

Aussperren Minderjähriger verletzt die GPL

Natürlich steht GNU/Linux insgesamt unter der GPL. "Frei" bedeutet aber nicht, dass die Programmierer auf ihre Urheberrechte verzichtet haben. Vielmehr sind sie nach wie Inhaber der Urheberrechte. An diesen Rechten wird durch die GPL allerdings jedermann ein Nutzungsrecht eingeräumt. Die Antwort auf die Frage nach der Wirksamkeit der Ausgrenzung Minderjähriger im Hinblick auf all die Software-Bestandteile, an denen ein Distributor nicht die Urheberrechte hält, ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten: Kauft ein User bei einem Distributor eine GNU/Linux-Version oder lädt er sich eine Version aus dem Netz, dann erhält er an all diesen Programmteilen die Nutzungsrechte sowieso von den OSS-Programmierern direkt.

Auf diese Rechte kann sich die Einschränkung "nicht unter 18 Jahren" also von vorneherein nicht beziehen, denn an diesen Rechten räumt der Distributor gar keine Nutzungsrechte ein. Im Urheberrecht gilt der Grundsatz, dass man durch Lizenzverträge nicht mehr Rechte einräumen kann, als man selber besitzt. Deshalb kann ein Distributor die Rechtseinräumung durch die berechtigten Urheber auch nicht beeinflussen. Konkret gesprochen: Ein GNU/Linux-Distributor kann noch so viele Beschränkungen in seinen Lizenzbestimmungen aufführen; der Rechtserwerb etwa am GNU/Linux-Kernel, an dem Linus Thorvalds die Urheberrechte hält, wird durch diese Beschränkungen nicht berührt. In weiten Teilen griff das End User License Agreement von Corel also von vorneherein ins Leere.

Schon spannender ist die Frage, wie sich die Lage bei den Tools oder auch bei Fortentwicklungen von GNU/Linux-Komponenten darstellt, an welchen der Distributor die Urheberrechte hält. Für diese räumt tatsächlich er dem User die urheberrechtlichen Nutzungsrechte ein. Hier greift die "nicht unter 18 Jahren"-Klausel also an sich durch, denn es findet tatsächlich eine Lizenzeinräumung im Verhältnis Distributor/User statt. Kann der Distributor also, zwar auf "seine" Programmteile begrenzt, nur an Volljährige Nutzungsrechte einräumen, mit der Folge, dass das Software-Paket faktisch eigentlich nur von über 18jährigen genutzt wird? Die Antwort ist nein. Ein Distributor verletzt durch die Aussperrung Minderjähriger die GPL.

Dies ergibt sich einmal mehr aus § 2 b GPL. Danach muss jeder Nutzer von "copylefted Software" dafür sorgen, dass jede von ihm "verbreitete oder veröffentlichte Arbeit, die ganz oder teilweise von Programmen oder Teilen davon abgeleitet ist, Dritten gegenüber als Ganzes unter den Bedingungen dieser Lizenz ohne Lizenzgebühren zur Verfügung gestellt wird." Begrenzt der Distributor die Einräumung von Nutzungsrechten an Derivaten auf Volljährige, so stellt er die Nutzung "seiner" Programmteile - anders als die GPL - nicht jedermann zur freien Nutzung zur Verfügung, er schränkt den Personenkreis vielmehr ein. Hierfür besteht aber zumindest in den Fällen, in denen Minderjährige mit Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertretern die Lizenzbedingungen akzeptieren, kein Grund. Sie können wirksam an einer OSS-Entwicklung teilnehmen, der GPL ist mit keinem Wort zu entnehmen, dass Minderjährige ausgeschlossen sein sollen.

Rechtsschutz für OSS-Entwickler

Die Folge von Verstößen gegen die GPL ergibt sich aus § 4 GPL: Wer die Lizenzbestimmungen verletzt, büßt selbst seine Nutzungsrechte an den Programmteilen ein, welche von den anderen OSS-Programmieren erstellt worden sind. Diese können ihm deswegen die Nutzung ihrer Programmteile, aber auch die Nutzung der von ihm erstellten Derivate verbieten, denn auch für deren Nutzung ist er auf die Einwilligung der anderen OSS-Programmierer angewiesen gem. § 23 UrhG.

Im Klartext: Ein Distributor der auch solche Minderjährigen in seinen Lizenzbestimmungen auschließt, welche mit Einwilligung ihrer Eltern an einer OSS-Entwicklung teilnehmen, verstößt gegen § 2 b GPL. Die anderen OSS-Entwickler (etwa die FSF oder Linus Torvalds im Fall GNU/Linux) können ihm die Weiterverbreitung der OSS und der Derivate deshalb verbieten. Im Fall Corel hätte der von Bruce Perens angekündigte "lawsuit" in Deutschland also durchaus Aussicht auf Erfolg gehabt. (uwo/tfr)

DER AUTOR

Axel Metzger ist Doktorand am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht in München. Im von ihm mitgegründeten ifrOSS beschäftigt er sich mit Rechtsfragen der Open Source Software.

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