Open Source in der Verwaltung: Sittenwidriger Wettbewerb gegenüber proprietären Anbietern?

Gute Sitten

Axel Metzger

Open Source in der öffentlichen Verwaltung ist derzeit ein populäres Thema. Stabilität, Sicherheit und nicht zuletzt die Kostenfrage verführen den Staat zur Förderung freier Software. Passt er dabei aber nicht auf, könnten Microsoft & Co. dem Treiben schnell Einhalt gebieten.

Sogar Landesrechnungshöfe empfehlen es: Nicht erst seit der Bundestux-Initiative ist immer öfter die Absicht erklärt worden, freie Software in der Verwaltung einzusetzen. Landesregierungen, Landesparlamente, der Bundestag und nicht zuletzt der Bayerische Rechnungshof streiten für verstärkten Einsatz von Open-Source-Produkten in der öffentlichen Verwaltung.

Der Staat als Wettbewerber

Dort wird fleißig entwickelt und kodiert, mancherorts hat man sich in medienwirksamen Förderprojekten mit der freien Entwicklerszene zusammengefunden. Auch wenn nicht alle Absichtserklärungen am Ende umgesetzt werden, insgesamt sind GNU/Linux und die anderen freien Programme bei den hiesigen Amtsträgern beliebt.

Wenig beachtet blieben dabei bislang die besonderen rechtlichen Grenzen einer Betätigung der öffentlichen Hand. Freie Software hat den Wettbewerb auf Märkten belebt, auf denen lange Zeit nur die Produkte eines oder weniger Unternehmen erhältlich waren. Wo sich aber Wettbewerb entwickelt, sind auch die Bestimmungen des Wettbewerbsrechts einzuhalten.

Auch bei der Vermarktung von Open-Source-Software und entsprechenden Dienstleistungen stellen sich wettbewerbsrechtliche Fragen bei Werbung, Absatzstrategie, Preisgestaltung und anderem. Das gilt umso mehr im öffentlichen Bereich. Erwirbt die öffentliche Hand Software, so nimmt sie am allgemeinen Wirtschaftsverkehr wie ein privates Unternehmen teil. Hierbei gilt es, die Regeln zur Wirtschaftstätigkeit der Verwaltung zu beachten.

Machtmissbrauch verboten

Wenn sich die öffentliche Hand wirtschaftlich wie ein Privater betätigt, darf sie sich nicht jener Machtmittel bedienen, die sich aus ihrer hoheitlichen Sonderstellung ergeben. Die Kapitalkraft der öffentlichen Hand sowie ihre besondere Vertrauensstellung legen ihr auch besondere Verhaltenspflichten im Wettbewerb auf. Das gilt natürlich auch für die Verbreitung von Software.

Vorsicht ist besonders dann geboten, wenn die Verwaltung vollständige Eigenentwicklungen unter eine freie Lizenz stellt. Ähnliches gilt, wenn die Verwaltung freie Software weiterentwickelt: Mit der Nutzung und der Weiterentwicklung freier Software gehen Verpflichtungen einher. Das gilt in besonderem Maße für so genannte Copyleft-Lizenzen wie zum Beispiel die GNU GPL.

Diese Pflichten des Nutzers können beim Einsatz freier Programme im öffentlichen Bereich wettbewerbsrechtliche Schwierigkeiten hervorrufen. Wohlgemerkt: Die Verwaltung darf Copyleft-Software fortentwickeln und auch neue Programme unter eine freie Lizenz stellen. Sie hat hierbei aber auch Grenzen zu beachten, um möglichen Unterlassungsansprüchen der proprietären Konkurrenz vorzubeugen.

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Nutzung und Weitergabe: Intern und extern

Auch bei der Nutzung durch Behörden sind nach Paragraph 2 b der GNU GPL und vergleichbarer Copyleft-Lizenzbestimmungen alle verbreiteten Veränderungen wiederum unter den Bedingungen der Lizenz freizugeben. Ebenso muss bei einer behördeninternen Vervielfältigung grundsätzlich der Quellcode mitgeliefert werden. Die behördeninterne Nutzung freier Programme ist aber wettbewerbsrechtlich unproblematisch. Das gilt auch für Programme, die unter einer Copyleft-Lizenz stehen.

Besondere Regeln gelten, wenn Behörden freie Software öffentlich verbreiten oder zugänglich machen. Rechtliche Schranken setzt hier Paragraph 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Dort heißt es: "Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden."

Der Gesetzestext ist nur zu verstehen, wenn man die mehrere hundert Seiten starken Kommentare zu Paragraph 1 UWG und die dortigen Verweise auf die Rechtsprechung zu Rate zieht. Das Recht zu unlauterem Wettbewerb ist stärker als andere Rechtsgebiete durch Leitentscheidungen der Obergerichte geprägt. Paragraph 1 UWG setzt ein "Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs" voraus. Wann betätigt sich eine Behörde, die Open-Source-Software verbreitet, als Wettbewerber? Jedenfalls dann, wenn diese Verbreitung objektiv dazu geeignet ist, den Absatz proprietärer Anbieter zu beeinträchtigen. Dass freie Programme dieses Potenzial besitzen, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre.

In subjektiver Hinsicht muss allerdings zusätzlich eine "Wettbewerbsabsicht" gegeben sein. Sie liegt vor, wenn man sich am Wettbewerb beteiligen will, auch ohne Gewinn anzustreben. So genügt es, wenn die Verwaltungsstelle unter Hinweis auf die besonderen Qualität eines Programms eine besonders weite Verbreitung wünscht. Und welcher Verwaltungs-Tux will das nicht? Paragraph 1 UWG ist daher grundsätzlich anwendbar auf die Verbreitung von Open-Source-Software durch die Verwaltung.

Worin aber kann ein Verstoß gegen die guten Sitten liegen? Hier sind zwei Fallgruppen von Wettbewerbsverstößen denkbar, bei denen konkurrierende Software-Unternehmen auf Unterlassung klagen könnten.

Fall 1: Autorität und Vertrauen

Die erste Fallgruppe betrifft das besondere Vertrauen in staatliche Stellen und deren hoheitliche Autorität. Nochmals: Wenn sich der Staat wie ein Privater am Wettbewerb beteiligt, darf er nicht seine besonderen Fähigkeiten und Qualitäten als Hoheitsträger im Wettbewerb einsetzen. Man stelle sich vor: Der Bundesdatenschutzbeauftragte lässt eine freie Verschlüsselungssoftware für E-Mail entwickeln. Danach zertifiziert er sie als besonders sicher und bietet sie auf seiner Website zum Download an. Der Umsatz der proprietären Konkurrenz geht daraufhin deutlich zurück.

In Fällen dieser Art wird die Behörde darauf achten müssen, dass das Download-Angebot zurückhaltend formuliert ist, um Wettbewerbsverstöße zu vermeiden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Verwaltung darf freie Programme entwickeln oder sich an der Entwicklung beteiligen. Sie darf diese auch zum Download anbieten. In die unruhigen Gewässer des Wettbewerbsrechts gerät sie allerdings dann, wenn sie die staatliche Autorität und das Vertrauen der Bürger dazu benutzt, die Software im Markt zu platzieren.

Fall 2: Wettbewerbs- gefährdung

Ein Verstoß gegen die guten Sitten des Wettbewerbs liegt auch dann vor, wenn die Betätigung der Verwaltung nach den Gesetzen nicht zwingend geboten ist oder wenn sie ihre gesetzlich zugewiesene Aufgabe überschreitet und so den privaten Wettbewerb gefährdet. Diesen "unlauteren Verdrängungswettbewerb" hat der Bundesgerichtshof im Fall einer Abrechnungssoftware für Zahnärzte untersagt. Dort wollte eine kassenärztliche Vereinigung für ihre Mitglieder Abrechnungssoftware eines bestimmten Herstellers kostenlos bereitstellen. Ähnlich liegt auch der Fall einer öffentlich-rechtlichen Krankenkasse, der verboten wurde, Brillen kostenlos an ihre Mitglieder abzugeben.

Ähnliches ist denkbar bei der Entwicklung und Verbreitung freier Software durch die öffentliche Hand: Würde etwa die Bayerische Staatskanzlei Open Office von hauseigenen Informatikern für den allgemeinen Einsatz fit machen lassen und anschließend zum Download auf ihre Webseite stellen, wäre das unlautere Marktverdrängung, wenn die Neuentwicklung dem bisherigen Marktführer größere Marktanteile abnimmt.

Freie Softwareprojekte der öffentlichen Hand sollten sich also bei wirtschaftlich interessanten Programmen vor der öffentlichkeitswirksamen Verbreitung sicherheitshalber beraten lassen. Eine schlichte Weitergabe an andere Institutionen oder die nicht gesteuerte Weitergabe durch die Mitarbeiter ist aber ohne weiteres möglich. (fan)

Der Autor

Dr. Axel Metzger ist Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Privatrecht in Hamburg. Daneben gehört er der Leitung des von ihm mitbegründeten Instituts für Rechtsfragen der Freien und Open- Source-Software (ifrOSS) an.

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