Internationale Aspekte des Urheber- und Patentrechts

200 Rechtsordnungen

Till Jaeger

Das internationale Immaterialgüterrecht (Urheber-, Patent und Markenrecht) ist eine hoch komplizierte Angelegenheit. Für den Vertrieb von Software übers Internet könnte es bedeuten, dass der Anbieter alle Rechtsordnungen der Erde beachten müsste - eine praktisch unlösbare Aufgabe.

Das Recht hinkt der Wirklichkeit meist ein paar Schritte hinterher. Besonders deutlich wird dies bei der Frage, welche Gerichte für Rechtsverletzungen im Internet zuständig sind und welches Recht dabei anzuwenden ist.

Ein prominentes Beispiel ist der Yahoo-Fall[1]. Auf den US-amerikanischen Yahoo-Seiten[2] laufen Auktionen, bei denen etwa Nazi-Andenken angeboten werden. Dagegen war Mitte 2000 die antirassistische Organisation Licra (Ligue internationale contre le racisme et l«antisŽmitisme) vor einem französischen Gericht vorgegangen. Begründung: Solche Angebote sind nach französischem Recht verboten. Yahoo wurde daraufhin dazu verurteilt, den Zugang für Frankreich zu sperren. Bei Verstoß drohte zudem eine Strafe von täglich 14000 US-Dollar.

Gegen diese Entscheidung rief Yahoo ein US-amerikanisches Gericht an. Dies wiederum entschied, dass das französische Urteil für die USA keine Wirkung entfalte[3]. Das Hin und Her der Gerichte sorgte für einige Verwirrung, zumal es auch keinen übergeordneten internationalen Gerichtshof für diese Rechtsfragen gibt.

Der Yahoo-Fall zeigt die unterschiedlichen Interessen, die vom internationalen Internet-Waren- und Dienstleistungsverkehr berührt sind: Zum einen möchte jeder Staat seine Gesetze für alle Handlungen durchsetzen, die sich auf sein Staatsgebiet auswirken - auch wenn sie dort nicht stattgefunden haben. Für die Staatsmacht ist es gleichgültig, ob unerlaubtes Glücksspiel in einem Kasino um die Ecke stattfindet oder ob die Kugel über einen Server in der Karibik rollt. Die Spielsucht wird über Kreditkarte abgerechnet und der eigene Bürger steht mit leeren Händen da. Insoweit kann die Anwendbarkeit des eigenen nationalen Rechts auch den Verbraucherschutz als Zweck haben.

Auf der anderen Seite droht eine empfindliche Einbuße an Freiheit, wenn der Anbieter alle Rechtsordnungen der Welt beachten soll und sich nicht auf sein Heimatrecht verlassen kann. Wer kennt schon die chinesische Rechtsprechung zur Meinungsäußerungsfreiheit oder - näher liegend - wer weiß, welche Regelungen der DMCA enthält? In diesem Spannungsfeld müssten Rechtsgrundsätze auf globale Sachverhalte angewandt werden, für die sie nicht geschaffen wurden.

Status quo

Beim internationalen Softwarevertrieb und -erwerb besteht das gleiche Spannungsverhältnis: Der eine möchte nicht, dass Raubkopien seiner Software über eine Website in Tonga vertrieben werden, der andere möchte Software anbieten, ohne zweifelhafte Patentansprüche aus den USA fürchten zu müssen.

Der allgemeine Status quo ist, dass drei Grundfragen auseinander zu halten sind, die für den internationalen Vertrieb von Software über das Internet von Bedeutung sind:

n Vor den Gerichten welcher Staaten kann der Betreiber der Website verklagt werden (die so genannte internationale Zuständigkeit)?

n Welche Rechtsordnung hat das jeweils zuständige Gericht anzuwenden (das so genannte Kollisionsrecht)?

n Können ausländische Urteile im Inland vollstreckt werden?

Die erste und die letzte Frage betreffen eher praktische Aspekte der Rechtsverfolgung, beim Kollisionsrecht geht es aber darum, welche nationale Rechtsordnung anwendbar ist. Sind etwa bei einem Angebot von Software auf einer Website eine oder mehrere nationale Rechtsordnungen zu berücksichtigen?

Territorialitätsprinzip

Grundlage des Patent- und Urheberrechts ist in den meisten Staaten das Territorialitätsprinzip. Danach verleiht jeder Staat nur für sein eigenes Staatsgebiet ein Immaterialgüterrecht. So entfaltet ein deutsches Patent nur Wirkung in Deutschland und das US-amerikanische Copyright nur dort.

Der ungeschriebene Grundsatz der Territorialität ist nur aus der Geschichte heraus verständlich. Früher verliehen die Landesherren Privilegien, zum Beispiel für Buchdrucker oder Händler. Aufgrund des so erlangten Vorrechts amortisierten sich die Investitionen der Verlage und Fabriken, zugleich partizipierten die Landesherren am Gewinn. Auch wenn das Privilegiensystem die Zeit der französischen Revolution nicht überdauerte, blieb das Prinzip der territorialen Begrenzung gewerblicher Schutzrechte und des Urheberrechts bestehen.

Diese Schutzrechte, die man seither für Urheber und Erfinder naturrechtlich verankert sah, wollte niemand abschaffen. Sie blieben, um den Kreativen einen Anreiz für technische Weiterentwicklung oder die Schöpfung von Kunstwerken zu geben. Andererseits konnte und wollte man sich international nicht auf ein einheitliches Rechtssystem einigen. Dafür waren die nationalen Interessen zu unterschiedlich. Übrig blieb ein Mosaik von national bestimmten Immaterialgüterrechten.

Das Territorialitätsprinzip auf das Kollisionsrecht konsequent angewandt bedeutet, dass für jedes Staatsgebiet das jeweilige Patent- oder Urheberrecht gültig ist. Daraus folgt, dass bei einer Urheberrechtsverletzung, die sich in mehreren Staaten auswirkt, die jeweiligen Rechtsordnungen greifen. Zum Beispiel die Versendung raubkopierter CD-ROMs nach Belgien, Frankreich und Spanien: Das zuständige Gericht muss prüfen, ob das belgische, französische und spanische Urheberrecht verletzt sind. Nach jedem Staat getrennt wird dann Schadensersatz zugesprochen.

Keine länderüber- greifende Lösung

Während eine Verbreitung von körperlichen Gegenständen wie CD-ROMs kontrollier- und steuerbar ist, fehlt beim Datenverkehr im global zugänglichen Internet eine praktikable Kontrollmöglichkeit. Wer CD-ROMs ins Ausland versendet, kann vorab prüfen, ob der Vertrieb mit der jeweiligen Rechtsordnung vereinbar ist. Wenn nicht, kann man auf Vertrieb in dem betroffenen Staat verzichten.

Solche Rücksicht auf das Territorialitätsprinzip ist im Internet gar nicht möglich. Der Abruf von Webseiten lässt sich sich nicht wirksam auf einzelne Länder beschränken. Schließlich können sich Nutzer direkt bei einem Provider im Ausland einwählen und so in ihren Heimatländern auch solche Seiten abrufen, die innerstaatlich gesperrt sind. Bleibt die Frage, ob bei einem Angebot im Internet alle 200 Rechtsordnungen der Welt berücksichtigt werden müssen.

Globale Rechtsverletzung

Abbildung 1: Der Justizpalast in München. Nach dem Tatortprinzip können Verstöße gegen deutsches Patent- und Urheberrecht auch dann vor dieses Gericht gebracht werden, wenn der Anbieter der Inhalte nicht hier wohnhaft ist.

Gerichte haben diese Frage noch nicht beantwortet - die Juristen streiten. Es lässt sich nur abschätzen, wie sich das Territorialitätsprinzip bei diesem Problem auswirkt. Nach deutschem Recht genügt es für eine Patentverletzung, wenn patentierte Erzeugnisse oder Verfahren lediglich angeboten werden, § 9 PatG[4]. Wer also Software über das Internet in Deutschland sogar downloadbar macht, muss erst recht das deutsche Patentrecht beachten. Vergleichbares gilt für andere Staaten.

Ob eine Verletzungshandlung vorliegt, ist nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem um Schutz nachgesucht wird. Daher ist in jedem Staat, für den eine Patent- oder Urheberrechtsverletzung behauptet wird, gesondert zu prüfen, ob die Möglichkeit des Abrufs übers Internet unter die Verletzungsvorschriften fällt. Das wird in den meisten Staaten der Fall sein.

Schwieriger als im Patentrecht ist die Lage im Urheberrecht. Hier ist das Online-Recht bislang nicht ausdrücklich geregelt. Der neue Referentenentwurf zum deutschen Urheberrecht spricht vom Recht der "öffentlichen Zugänglichmachung"[5]. Wo findet aber die öffentliche Zugänglichmachung statt? Nur dort, wo sich der Server mit der angebotenen Software befindet? Wohl kaum: Die Zugänglichmachung erfolgt ebenso dort, wo ein Abruf erfolgen kann. Ob dies aber ohne Einschränkung auch zu einer weltweiten Anwendbarkeit fremder Rechtsordnungen führt, ist noch offen.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil über Presseerzeugnisse entschieden, dass die Urheberrechtsverletzung (das Verbreiten) überall dort stattfindet, wo die betroffene Zeitschrift bewusst verkauft wird, nicht aber in den Staaten, in die jene Zeitschrift eher zufällig gelangte. Übertragen aufs Internet bedeutet das: Das Recht aller Staaten ist anzuwenden, da jeder Betreiber einer Website weiß, dass seine Seiten weltweit abrufbar sind.

Forum Shopping

Entsteht so das Horrorszenario einer Vielzahl von unbekannten Rechtsordnungen, durch die das Angebot von Software im Internet zum unkalkulierbaren Risiko wird? Glücklicherweise nicht ganz. Eine Reihe von praktischen und rechtlichen Hürden hat dafür gesorgt, dass trotz der dargestellten Rechtslage eine Verfolgung von im Ausland begangenen Patent- oder Urheberrechtsverletzungen schwierig ist. Ein Grund liegt in der Differenzierung nach zuständigem Gericht, anwendbarem Recht und Vollstreckbarkeit.

Ob ein Gericht zuständig ist, bestimmt lokales Recht: Deutsche Gerichte dürfen bei Patent- oder Urheberrechtsverletzungen angerufen werden, wenn der Verletzer in Deutschland seinen Firmen- oder Wohnsitz unterhält. Es gibt auch noch andere Zuständigkeiten, etwa an dem Ort, an dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde, bei einem unzulässigen Angebot im Internet also nahezu überall. Auch im Ausland erklären sich Gerichte gelegentlich für zuständig, wenn eine Website in ihrem Staatsgebiet abrufbar ist <\m> wie das französische Gericht in dem Yahoo-Fall. Der Kläger hat also meist die freie Wahl, wo er Klage erhebt: Forum Shopping.

Ein ausländisches Urteil ist in Deutschland nicht ohne weiteres vollstreckbar.; es muss hier erst anerkannt werden. Dabei sind - neben praktischen Problemen wie Übersetzungen, Verfahrensdauer oder -kosten - auch Schutzvorschriften zu beachten. Eine Vollstreckung ist ausgeschlossen, wenn ein Urteil offensichtlich nicht mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts vereinbar ist. Das soll die Vollstreckung von absurden oder grundrechtswidrigen Gerichtsentscheidungen verhindern.

Auch die astronomischen "Punitive damages" aus den USA werden in Deutschland nicht in voller Höhe vollstreckt. Das ist der so genannte "Ordre public"-Vorbehalt. Aus ähnlichen Gründen hat das US-Gericht die Wirksamkeit des französischen Yahoo-Urteils für die USA verneint und das Urteil für unvereinbar mit der in der US-Verfassung verankerten Meinungsfreiheit erklärt.

Ob diese Hürden auch in Zukunft gelten, hängt nicht zuletzt von der weiteren Rechtsentwicklung ab. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Informationsgesellschaft steht bevor, die ihrerseits auf völkerrechtlichen Verträgen beruht. Sie führt den Schutz technischer Maßnahmen ins Urheberrecht ein, so dass eine Berufung auf die Meinungs- oder Informationsfreiheit ausscheidet, wenn die vertriebene Software wie DeCSS zur Umgehung technischen Sperren dient[6]. Außerdem soll durch ein Haager Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und ausländische Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen die Vollstreckung von Urteilen vereinfacht werden[7]. Allerdings ist auch in diesem Abkommen ein Ordre-public-Vorbehalt vorgesehen.

Vorsicht Schadensersatz!

Einen weiteren Schutz vor ungerechtfertigten Schadensersatzansprüchen gewährt das Verschuldenserfordernis. Es besagt, dass - zumindest nach deutschem Patent- und Urheberrecht - niemand ohne vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln schadensersatzpflichtig wird. Wer also unbewusst ein Softwarepatent verletzt, kann zwar abgemahnt werden und darf sein Produkt nicht weiter anbieten, muss aber keinen Schadensersatz leisten.

Allenfalls die - nicht unerheblichen - Kosten der Abmahnung werden fällig. Grundsatz: Von einzelnen Programmierern kann nicht erwartet werden, dass sie eine umfassende Patentrecherche vornehmen. Anders bei größeren Unternehmen, die Software kommerziell vertreiben, etwa Distributoren. Hier gilt bereits als fahrlässig, wer Software ohne eine Prüfung auf entgegenstehende Patente verkauft.

Im Patentrecht, mit dem schon das zugrunde liegende Verfahren geschützt sein kann, liegt eine versehentliche Verletzung näher als im Urheberrecht. Dort spielt das Verschulden eine geringe Rolle: Wer nicht fremden Code unerlaubt kopiert, kann kaum versehentlich das Urheberrecht verletzen.

Fazit

Die Situation bleibt unbefriedigend: Wie kann ein Internet-Anbieter sämtliche Rechtsordnungen dieser Erde daraufhin prüfen, ob er eine Urheber- oder Patentverletzung begeht? Gerade jene, die sich solchen Aufwand nicht leisten können, bleiben unsicher und wissen nicht, ob ihnen Abmahnungen drohen.

Die Lösung ist schwierig. Letztlich hilft nur eine Ausweitung des Ordre-public-Vorbehalts oder eine internationale Rechtsvereinheitlichung mit Standards, bei deren Beachtung sich der Software-Anbieter rechtmäßigen Handelns sicher sein kann. Bis dahin wird das Recht weiter der technischen Entwicklung hinterherhinken. (fan)

Infos

[1] [http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4424/1.html]

[2] [http://www.yahoo.com]

[3] [http://www.eff.org/effector/HTML/effect14.36.html#I]

[4] [http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/patg/gesamt.pdf]

[5] [http://www.urheberrecht.org/topic/MultiMediaRiLi/RefEntw_Infoges_18_3_02.pdf]

[6] Axel Metzger: "Der Euro-DMCA kommt!", Linux-Magazin 11/01, S. 79

[7] Richard Stallman: Harm from the Hague, [http://www.gnu.org/philosophy/hague.html]

Der Autor

Dr. Till Jaeger ist Rechtsanwalt der Kanzlei JBB-Rechtsanwälte [http://www.jbb.de/] in Berlin. Außerdem gehört er auch der Leitung des von ihm mitgegründeten Instituts für Rechtsfragen der freien und Open-Source-Software (ifrOSS) in München an.

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