Europäische Urheberrechtsrichtlinie

Der Euro-DMCA kommt!

Axel Metzger

Mit der EU-Richtlinie über das "Urheberrecht in der Informationsgesellschaft" ist es entschieden: Auch Deutschland bekommt seinen "Digital Millenium Copyright Act". Doch in Einzelfragen bleiben Gestaltungsspielräume, denn ein deutsches Gesetz ist noch nicht verabschiedet.

Dmitry Sklyarov droht Haftstrafe, weil er die Mängel eines Verschlüsselungsverfahrens demonstrierte. Harward-Professor Felten wird gehindert bestimmte Vorträge zu halten - Folgen des US-amerikanischen "Digital Millenium Copyright Act" (DMCA) von 1998[2].

Auch die europäischen Regierungen arbeiten an der Einführung vergleichbarer Vorschriften. Dass in Deutschland ein Rechtsschutz für "technische Maßnahmen" zum Schutz von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten eingeführt wird, ist bereits entschieden.

Die Richtlinie 2001/29/EG vom 22. Mai über das "Urheberrecht in der Informationsgesellschaft"[1] verpflichtet den deutschen Gesetzgeber, technische Kopierschutzsysteme wie Watermarks, Content Scrambling Systems und Ähnliches innerhalb der nächsten 18 Monate unter erweiterten Rechtsschutz zu stellen. In Einzelfragen lässt die Richtlinie aber noch Gestaltungsspielräume. Ob sie ausgeschöpft werden, hängt von der Diskussion der nächsten Monate ab.

Umgehen von Kopierschutz wird illegal

Artikel 6 Absatz 1 enthält die zentrale Neuerung der Richtlinie: "Die Mitgliedsstaaten sehen einen angemessenen Rechtsschutz gegen die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen vor (...)". Hatte der bisherige Urheberrechtsschutz stets am geschützten Werk selbst angesetzt, wird das kommende Recht bereits Handlungen im Vorfeld des Zugriffs auf Inhalte verbieten.

Künftig wird das Umgehen von Kopierschutzmechanismen und Ähnlichem als solches verboten sein, unabhängig davon, ob der Zugriff auf die geschützten Werke legal oder illegal ist. Vergleicht man geistiges Eigentum mit dem Eigentum an einem Grundstück, ist es dem Eigner künftig gestattet, Mauern außerhalb seines Grundstücks zu errichten. Deren Überschreitung ist verboten, und zwar auch dann, wenn sich hinter der Mauer Gemeingrund befindet. Vergleiche hinken, aber zur Veranschaulichung der bevorstehenden Regelungen zum geistigen Eigentum können sie trotzdem hilfreich sein.

Die Vorschrift ist urheberrechtliches Neuland, sie geht auf die 1996 geschlossenen WIPO-Verträge zurück, zu deren Umsetzung sich die USA, die Europäische Union und zahlreiche andere Staaten verpflichtet haben. Die vergleichbare Vorschrift in Section 1201 des DMCA ist die US-amerikanische Umsetzung der WIPO-Verträge. Sie ist die Grundlage für die Verfahren DeCSS und Sklyarov sowie den Streit um die SDMI-Veröffentlichung des Princeton-Professors Felten[3].

Was sind wirksame technische Maßnahmen?

Bereits die Grundaussage des Artikels 6 "wirksame technische Maßnahmen sind gegen Umgehung zu schützen" eröffnet dem deutschen Gesetzgeber Spielräume bei der Umsetzung. Es wird konkret im Gesetz geregelt werden müssen, was man unter einer wirksamen technischen Maßnahme zu verstehen hat. SDMI und CSS sind die besten Beispiele dafür, dass bisher noch jedes Kopierschutzsystem nach kurzer Zeit von findigen Programmierern gehackt werden konnte.

Kann aber ein technisches Schutzsystem, das mit relativ einfachen Mitteln umgangen werden kann, überhaupt als "wirksam" im Sinne der Richtlinie eingestuft werden? Der Richtlinientext hilft in dieser Frage nicht weiter. Zwar wird in Artikel 6 Absatz 4 Satz 3 definiert, was eine wirksame technische Maßnahme ist. Die Definition enthält aber keine qualitativen Kriterien.

Die mit der konkreten Formulierung befassten Ministerialbeamten sind um ihre Aufgabe nicht zu beneiden. Einerseits wird man wohl zugeben müssen, dass allein der Umstand, dass ein System außer Kraft gesetzt werden kann, es noch nicht "unwirksam" macht, denn andernfalls würde die Vorschrift keinen Sinn mehr ergeben.

Umgekehrt würde es aber auch den Intentionen der Richtlinie widersprechen, jedes banale System als wirksam einzustufen. Eine solche Regelung würde eine technisch nicht funktionsfähige Maßnahme juristisch absichern, der Schutz wäre also nur noch rechtlich und nicht mehr technisch.

Denkbar wäre hier eine Regelung, die auf den Kenntnisstand desjenigen abstellt, dem die Umgehung der Maßnahme gelingt: Natürlich ist nicht das "wirksam", was der einfache Verbraucher ohne größere Mühe umgehen kann. Andererseits wird man sich aber auch nicht auf den versierten Fachmann beziehen können, dem es mittels Reverse Engineering oder Ähnlichem gelingt, das Schutzsystem aufzubrechen. Es bleibt zu hoffen, dass die Latte hier nicht zu niedrig aufgelegt wird.

Schutzsysteme als Mittel der Marktabschottung

Die Definition der "technische Maßnahmen" wirft allerdings noch weitere Fragen auf. Der erste Satz von Artikel 6 Absatz 3 definiert als technische Maßnahmen "alle Technologien, Vorrichtungen oder Bestandteile, die im normalen Betrieb dazu bestimmt sind, Werke oder sonstige Schutzgegenstände betreffende Handlungen zu verhindern oder einzuschränken, die nicht von der Person genehmigt worden sind, die Inhaber der Urheberrechte (...) ist." Fallen damit auch solche Funktionen technischer Systeme unter den neuen Rechtsschutz, die jenseits des "normalen Betriebs" liegen? Diese Frage drängt sich in Anbetracht der US-amerikanische Erfahrungen mit den vergleichbaren Vorschriften des DMCA geradezu auf.

Abbildung 1: Bisher ist es vor allem die Computerszene, die sich um die Folgen des neuen Urheberrechtes sorgt. Die Konsequenzen treffen jedoch alle Nutzer digitaler Medien - auch in Europa.

Ohne lizenzierte Software - DVDs anschauen verboten

Die Entscheidung des U.S. District Court for the Southern District of New York (SDNY) in der viel diskutierten DeCSS-Entscheidung hat deutlich gemacht, dass technische Maßnahmen über den Kopierschutz hinaus auch zu einer Monopolisierung technischer Standards verwandt werden können[4].

Das Gericht hatte es Programmierern verboten, das Programm DeCSS weiter über das Internet zu verbreiten. DeCSS ermöglicht es, auf DVD-Spielern Filme anzusehen, die keine lizenzierte CSS-Entschlüsselungstechnik aufweisen. Mit CSS (Content Scramble System) verschlüsselt die DVD-Industrie ihre Filme derart, dass nur solche DVD-Spieler zur Entschlüsselung befähigt sein sollen, die den Entschlüsselungscode über eine Lizenz erworben haben. Die Technik dient also unter anderem dazu, den Markt der DVD-Spieler auf entsprechend lizenzierte Geräte zu beschränken.

Die verurteilten Programmierer hatten das DeCSS-Programm durch Reverse Engineering der CSS-Software erstellt, und zwar mit dem Ziel, DVD-Filme auch auf GNU/Linux-basierten Rechnern ansehen zu können. Für dieses Betriebssystem war zu diesem Zeitpunkt kein CSS-lizenzierter DVD-Spieler auf dem Markt.

Eine derart weite Interpretation des Schutzes technischer Maßnahmen sollte in Deutschland vermieden werden. Eine Begrenzung des Schutzes technischer Maßnahmen auf die Funktionen, die Kopierschutz, Verschlüsselung oder Zugangskontrollen gewähren, sollte im Gesetz deshalb ausdrücklich vorgesehen werden.

Privatkopie - de facto ausgeschlossen

Besonders schwer werden sich die Folgen der Umsetzung von Absatz 4 auswirken. Diese Vorschrift befasst sich mit dem Verhältnis der nach wie vor zulässigen Privatkopie einerseits und den technischen Schutzmaßnahmen andererseits. Im Grundsatz gilt, dass die Erstellung von Privatkopien nicht mehr gestattet sein wird, sobald sich der Anbieter von urheberrechtlich geschützten Inhalten besonderer technischer Maßnahmen bedient.

Die jetzt präsentierte Lösung beruht auf einer Initiative des Europäischen Parlaments. Die Kommission der EU wollte dem Recht auf Privatkopien den Vorrang geben, konnte sich aber nicht durchsetzen. Künftig wird deshalb die folgende Regelung zu beachten sein: Nur wenn die Herstellung von Vervielfältigungsstücken ohne die unrechtmäßige Umgehung technischer Schutzmaßnahmen möglich ist, wird sie von den Schrankenregelungen erfasst und damit legal.

Die Rechtsinhaber sollen aber auf der Grundlage "freiwilliger" Vereinbarungen Maßnahmen ergreifen, die Vervielfältigungen im Sinne der Schrankenbestimmungen zulassen. Treffen die Rechtsinhaber keine solchen Maßnahmen, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Schranken zugunsten öffentlicher Bibliotheken, Schulen, Behinderteneinrichtungen, aber auch für Kopien auf Papier trotz technischer Schutzmaßnahmen durchzusetzen.

Im Hinblick auf die politisch stark umstrittene digitale Privatkopie-Schranke in Artikel 5 Absatz 2 b ist dagegen nur vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten tätig werden können, wenn keine freiwilligen Maßnahmen durch die Rechtsinhaber getroffen werden. Nur wenn der Rechtsinhaber also die entsprechenden Mittel bereitgestellt hat, darf beim Vorliegen technischer Schutzvorrichtungen eine private Vervielfältigung digitalisierter Inhalte vorgenommen werden. Kommt es zu keiner freiwilligen Erlaubnis, ist eine Privatkopien erlaubende Regelung durch die Mitgliedstaaten fakultativ.

Zwar ist aus gut informierten Kreisen zu hören, dass man im Bundesjustizministerium gewillt ist, eine entsprechende Durchsetzung der Privatkopie-Schranke umzusetzen. Nach der Formulierung der Richtlinie ist aber davon auszugehen, dass man nicht die selbsttätige Umgehung der Schutzsysteme legalisieren, sondern lediglich einen Anspruch der Allgemeinheit auf Zugang regeln wird ("dass die Rechteinhaber dem Begünstigten ... die Mittel zur Nutzung der betreffenden Ausnahme oder Beschränkung ... zur Verfügung stellen").

Die Richtlinie ist in dieser Frage wenig befriedigend. Wer wird sich darauf einlassen, das Risiko eines kostspieligen Rechtsstreits auf sich zu nehmen, um sein Recht auf Privatkopie durchzusetzen? Der Spielraum für einen Fortbestand der Privatkopie-Schranke ist also verschwindend gering. Für interaktive Dienste "auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung" sind die Schranken nach Artikel 6 Absatz 4 Unterabsatz 4 sogar vollständig ausgeschlossen. Beim Einsatz technischer Schutzmaßnahmen werden Privatkopien also de facto unmöglich gemacht.

Free flow of information - ausgetrocknet?

Die Umsetzung der Richtlinie 2001/29 /EG wird den freien Fluss der Information nicht austrocknen, doch wird man sich auf eine Klimaänderung einstellen müssen. Das gilt umso mehr, als offenbar auch eine strafrechtliche Verfolgung der Umgehung technischer Schutzmaßnahmen in Betracht gezogen wird. Festnahmen wie im Fall Sklyarov[5] sind dann auch in Europa möglich.

Die verbleibenden Spielräume müssen gerade deshalb so weit wie möglich ausgeschöpft werden. Es bleibt zu hoffen, dass neben den Lobbyisten der Musik- und Filmindustrie auch andere Stimmen in den europäischen Justizministerien Gehör finden. In Deutschland stehen die Chancen wegen der gegenwärtigen Ausrichtung des Bundesjustizministeriums gar nicht schlecht. Umso fataler: Die Stimmen der Gegenöffentlichkeit sind zurzeit kaum wahrnehmbar. (uwo)

Artikel 6 der Richtlinie 2001/29/EG (Auszüge)

Pflichten in Bezug auf technische Maßnahmen

(1) Die Mitgliedstaaten sehen einen angemessenen Rechtsschutz gegen die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen durch eine Person vor, der bekannt ist oder den Umständen nach bekannt sein muss, dass sie dieses Ziel verfolgt.

(3) ... Technische Maßnahmen sind als "wirksam" anzusehen, soweit die Nutzung eines geschützten Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands von den Rechtsinhabern durch eine Zugangskontrolle oder einen Schutzmechanismus wie Verschlüsselung, Verzerrung oder sonstige Umwandlung des Werks oder sonstigen Schutzgegenstands oder einen Mechanismus zur Kontrolle der Vervielfältigung, die die Erreichung des Schutzziels sicherstellen, unter Kontrolle gehalten wird.

(4) Werden von Seiten der Rechtsinhaber freiwillige Maßnahmen, einschließlich Vereinbarungen zwischen den Rechtsinhabern und anderen betroffenen Parteien, nicht ergriffen, so treffen die Mitgliedstaaten ungeachtet des Rechtsschutzes nach Absatz 1 geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Rechtsinhaber dem Begünstigten einer im nationalen Recht gemäß Artikel 5 Absatz 2 Buchstaben a, c, d, oder e oder Absatz 3 Buchstaben a, b oder e vorgesehenen Ausnahme oder Beschränkung die Mittel zur Nutzung der betreffenden Ausnahme oder Beschränkung in dem für die Nutzung der betreffenden Ausnahme oder Beschränkung erforderlichen Maße zur Verfügung stellen, soweit der betreffende Begünstigte rechtmäßig Zugang zu dem geschützten Werk oder Schutzgegenstand hat.

Ein Mitgliedstaat kann derartige Maßnahmen auch (...) treffen, sofern die Vervielfältigung zum privaten Gebrauch nicht bereits durch die Rechtsinhaber (...) ermöglicht worden ist; der Rechtsinhaber kann dadurch nicht gehindert werden, geeignete Maßnahmen in Bezug auf die Zahl der Vervielfältigungen gemäß diesen Bestimmungen zu ergreifen. (...)

Der Autor

Axel Metzger ist Lehrbeauftragter der Universität Hamburg. Im von ihm mitgegründeten IfrOSS (www.ifross.de) beschäftigt er sich mit Rechtsfragen der Open-Source-Software.

Infos

[1] Richtlinie 2001/29/EG: [http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/intprop/news/com29de.pdf]

[2] US-Gesetzestexte: [http://thomas.loc.gov]

[3] Der Fall Felten: [http://www.eff.org/ Legal/Cases/Felten_v_RIAA/20010606_eff_felten_pr.html]

[4] Die DeCSS-Entscheidung: [http://www.nysd:uscourts.gov/courtweb/pdf/ 00-001149.PDF]

[5] Freiheit für Dmitry Sklyrov: [http://www.freesklyarov.org]

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