Die Open RTLinux Patent License und die GPL

Kollision in Echtzeit

Axel Metzger

Der Entwickler Victor Yodaiken hat sich mit der Anmeldung des U.S.-Patents 5,995,745 auf RTLinux nicht nur Freunde in der Open-Source-Gemeinde gemacht. Die Anfang des Jahres veröffentlichte Open RTLinux Patent License verschärft den Konflikt weiter.

Das Thema "Softwarepatente und Open Source" ist zur Zeit in aller Munde. Computerzeitschriften, Newsticker, Mailinglisten melden allwöchentlich den aktuellen Stand der politischen Diskussion um Ausweitung oder Eindämmung der Patentierbarkeit von Computerprogrammen. Nicht viel anders sieht es in den juristischen Fachorganen und Institutionen aus, es dominiert die Frage nach der künftigen Rolle des Patentrechts für die Open-Source-Gemeinde.

So wichtig es ist, diese Diskussion ausgiebig zu führen, so wichtig ist es aber auch, die bereits heute bestehenden patentrechtlichen Probleme der Entwicklung der freien Software genau zu verfolgen. Die Ängste freier Entwicklergruppen gegenüber Softwarepatenten bestehen auch im Hinblick auf Patentanmeldungen aus den eigenen Reihen. Und dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigen auch die neueren Entwicklungen um das Echtzeit-Betriebssystem RTLinux.

RTLinux und das U.S.-Patent 5,995,745

Im Februar 1999 wurde bekannt, dass dem Entwickler Victor Yodaiken für ein Echtzeit-Betriebssystem das U.S.-Patent 5,995,745 angemeldet worden ist [1]. Die in der Patentanmeldung beschriebene Anwendung der Erfindung basiert auf GNU/Linux. RTLinux ist echtzeitfähig, das heißt, das System kann auf Ereignisse innerhalb einer festen Zeit reagieren [2]. Ein normales GNU/Linux-OS kann keine feste Antwortzeit garantieren.

Gerade im industriellen Bereich ist die Echtzeitfähigkeit eines Betriebssystems von besonders großer Bedeutung: Viele Kontrollinstrumente, Roboter und Maschinen sind auf garantierte Antwortzeiten angewiesen. Bei entsprechender Formulierung des Patentanspruchs erschiene ein vergleichbares Patent auch nach deutschem oder europäischem Patentrecht denkbar, vorausgesetzt die Erfindung wäre nach dem Stand der Technik neu und nicht naheliegend, also eine so genannte neue, erfinderische Betriebsweise.

An der University von New Mexico entstanden die ersten Versionen von RTLinux.

Rechtswirksame Patente auf Linux-Derivate?

Ist die Patentanmeldung auf eine Fortentwicklungen von GPL-Software überhaupt wirksam? Die Antwort ist eindeutig: Ja. Auch ein Erfinder, der seine Innovation aus einer Fortentwicklung von freier Software schöpft, erwirbt grundsätzlich ein "Recht auf das Patent" aus § 6 Patentgesetz (PatG) [3] beziehungsweise der vergleichbaren Vorschrift des Artikels 60 Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ) [4]. Für den Erwerb dieses Rechts ist auch keine Anmeldung erforderlich, das Recht auf das Patent entsteht vielmehr automatisch mit der Erfindung.

Zum Erwerb des Rechts auf das Patent bedarf es auch nicht der Zustimmung desjenigen, dessen Erzeugnisse oder Verfahren als Grundlage der eigenen neuen Entwicklung genutzt werden. Einem Erfinder kann die Weiterentwicklung freier Software und der damit automatisch einhergehende Erwerb des Rechts auf ein Patent deshalb grundsätzlich auch nicht verboten werden.

Freie und Open-Source-Lizenzen enthalten dementsprechend auch keine Vorschriften, die den Erwerb des Rechts auf das Patent betreffen. Nun erwirbt der Erfinder durch das Recht auf das Patent aber noch kein vollständiges Patent, hierfür ist vielmehr die Patentanmeldung erforderlich. Auch im Hinblick auf die Anmeldung eines Patents durch ihren Erfinder findet sich wenig in freien und Open- Source-Lizenzen.

Die meisten Lizenzen enthalten überhaupt keine Bestimmung für diese Fragen. Die GNU GPL erwähnt die Anmeldung von Softwarepatenten lediglich in der Präambel: "Schließlich und endlich ist jedes freie Programm permanent durch Softwarepatente bedroht. Wir möchten die Gefahr ausschließen, dass Distributoren eines freien Programms individuell Patente lizenzieren - mit dem Ergebnis, dass das Programm proprietär würde. Um dies zu verhindern, haben wir klargestellt, dass jedes Patent entweder für freie Benutzung durch jedermann lizenziert werden muss oder überhaupt nicht lizenziert werden darf." [5]

Die GNU GPL zielt also nur darauf ab, die proprietäre Nutzung von Softwarepatenten zu verhindern. Wer durch die Weiterentwicklung von GPL-Code eine patentfähige Erfindung schafft, ist aber deshalb nicht gehindert, sich diese Erfindung auch patentieren zu lassen.

Copyleft-Klauseln greifen auch bei Patenten, aber ...

Was aber ist von der Feststellung der Präambel der GNU GPL zu halten, man habe "klargestellt, dass jedes Patent für die freie Benutzung durch jedermann lizenziert werden muss"? Reichen die Bestimmungen der GPL aus, um eine proprietäre Vermarktung freier Software mit dem Patentrecht zu verhindern? Mit anderen Worten: Greifen die Copyleft-Klauseln (insbesondere §§ 2 b und 4 GPL) auch in den Fällen, in denen Patente auf Fortentwicklungen angemeldet werden? Dass diese Frage nicht nur theoretischer Natur ist, zeigt die anhaltenden Diskussion um RTLinux. Die Anmeldung dieses Patents hat nicht nur deswegen für Proteste im Lager der freien Entwickler gesorgt, weil die grundsätzliche Haltung gegenüber Softwarepatenten hier mehrheitlich ablehnend ist. Es wurden vielmehr auch Befürchtungen geäußert, Yodaiken versuche mittels seines RTLinux-Patents GPL-Software proprietär zu nutzen, das heißt (Patent-)Lizenzgebühren von den Nutzern des patentierten Verfahrens zu verlangen.

Die Frage nach der rechtlichen Bindungswirkung von Copyleft-Klauseln gegenüber Patenten betrifft den schwierigen Bereich der Koexistenz von Urheber- und Patentrecht im Bereich von Software. Denn sind Computerprogramme durch Patente geschützt, sind Urheber- und Patentrecht nebeneinander anzuwenden.

Zur Beantwortung der Frage ist es unabdingbar, sich nochmals kurz die urheberrechtlichen Bindungen vor Augen zu führen, welche durch die §§ 2b und 4 GNU GPL dem Nutzer der Software auferlegt werden: Erwirbt ein Programmierer durch eine Veränderung von GPL-Software ein Urheberrecht an einer durch seine Veränderung entstehenden Bearbeitung des Programms, ist er in rechtlich bindender Weise dazu verpflichtet, die Bearbeitung wiederum unter die GNU GPL zu stellen, das heißt, er muss seine erworbenen Urheberrechte freigeben.

Diese Verpflichtung kann dem Nutzer auferlegt werden, weil im Sourcecode des Derivats Code des ursprünglichen Programms enthalten ist. Nur deshalb stehen dem Urheber der ursprünglichen Software gegenüber dem Bearbeiter Verbotsrechte zur Seite, die es ihm gestatten, die Freigabe des Derivats durchzusetzen. Diese Verpflichtung gilt aber nicht ohne weiteres auch für Patente, die auf diese Software angemeldet sind, denn im Patentrecht werden Programme nicht als konkret ausformulierter Sourcecode, sondern als Verfahren oder Einrichtung zur Problemlösung geschützt.

Ein Softwarepatent kann deswegen auch dann benutzt worden sein, wenn die hierbei verwandte Software keinen Code des Programms enthält, das der Erfinder benutzt hat. Wird bei der Benutzung des Patents kein GPL-Code verwandt, besteht für die Urheber des GPL-Codes auch nicht die Möglichkeit, dem Patentinhaber Vorschriften für die Vermarktung seines Patents zu machen.

... nur beim Rückgriff auf Copyleft-Code

Copyleft-Klauseln greifen deshalb bei Patenten nur mit Einschränkungen: Wenn und soweit das im Patentanspruch beschriebene Verfahren durch Software ausgeführt wird, die unter einer Copyleft-Lizenz steht, ist die Nutzung des Verfahrens von der Zustimmung der Urheber abhängig. Sie können die Nutzung dann auch an die Einhaltung von Copyleft-Klauseln knüpfen. Schon bei der jetzigen Formulierung von § 2 b GPL kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Nutzung der Software in diesen Fällen nur gestattet ist, wenn auch das Patent jedenfalls insoweit unter die GPL gestellt wird.

Die Formulierung von § 2 b GPL ist offen genug, alle bei der Fortentwicklung von GPL-Code entstehenden Eigentumsrechte den Verpflichtungen der Lizenz zu unterwerfen. Da das Patentrecht aber nicht den Code als solchen, sondern das im Patentanspruch beschriebene Verfahren unter Schutz stellt, besteht auch die Möglichkeit, das Verfahren anzuwenden, ohne dass hierfür auf die GPL-Software zurückgegriffen wird. In dieser Konstellation bestehen keine urheberrechtlichen Verbotsrechte gegenüber einer Benutzung des Verfahrens. Das Patent muss also freigegeben werden, soweit das Verfahren mit GPL-Code ausgeführt wird. Wird das Verfahren mit anderer Software ausgeführt, ist auch eine proprietäre Vermarktung des Patents möglich.

Die Open RTLinux Patent License ...

Die anhaltende Diskussion um das U.S.-Patent 5,995,745 hat dazu geführt, dass seitens der Anbieter von RTLinux im Januar 2001 die Open RTLinux Patent License veröffentlicht wurde [6]. Aber genügen die Bestimmungen der Open RTLinux Patent License den oben beschriebenen Vorgaben aus der GNU GPL?

Dass das U.S.-Patent 5,995,745 auch proprietär genutzt werden kann, ergibt sich lediglich aus der Präambel der Lizenz. Dort findet sich der Hinweis, dass für die Benutzung des Patents mit Software, die nicht der GNU GPL unterstellt ist, eine andere Lizenz beim Patentinhaber anzufragen ist. Gegen eine proprietäre Vermarktung des Patents in den Fällen, in denen keine freie Software verwendet wird, besteht keine Möglichkeit, Copyleft-Klauseln durchzusetzen.

Diesen Spielraum schöpft Patentinhaber Yodaiken aus, ohne dass dies rechtlich zu beanstanden ist. Bedenklich stimmen aber die weiteren Hauptbestimmungen der Lizenz. Die Open RTLinux Patent License gestattet in § 1 die lizenzgebührenfreie Benutzung des Patents in zwei Fällen. Zum einen darf das Patent ohne Zahlung von Lizenzgebühren genutzt werden, wenn hierfür GPL-Software verwandt wird.

Dadurch bleibt insbesondere die Nutzung und Weiterentwicklung des weit verbreiteten Real Time Application Interface (RTAI) des Dipartimento di Ingegneria Aerospaziale der Politecnico di Milano (Technische Universität Mailand) möglich, das ebenfalls mit GNU/Linux arbeitet und unter der GPL steht [7]. Als zweite Möglichkeit gestattet § 1 der Lizenz die lizenzgebührenfreie Nutzung des Patents mit "nicht veränderter Open RTLinux Software".

... verstößt gegen die GNU GPL

Dieses in § 2 Abs. 4 der Lizenz weiter präzisierte Verbot der Verbreitung veränderter Open-RTLinux-Software verstößt gegen die Bestimmungen der GPL. Das Programm RTLinux steht unter der GPL, veränderte Versionen sollen sich nach den Bestimmungen der Open RTLinux Patent License aber nicht des Patents bedienen, im Ergebnis also nicht frei verbreitet werden können.

Diese Lizenzgestaltung führt auf den ersten Blick zu einem widersprüchlichen Ergebnis: Im Hinblick auf das Urheberrecht ist die Verbreitung von veränderten Versionen der Software wegen der Bestimmungen der GPL gestattet, zugleich verhindert aber die Open RTLinux Patent License mittels des Patentrechts eine Verbreitung der veränderten Software.

Diese Lizenzgestaltung verstößt gegen § 2 b der GNU GPL. Danach sind Urheber einer Fortentwicklung von GPL-Software verpflichtet, die Fortentwicklung unter den Bedingungen der GPL zur Verfügung zu stellen. Diese Verpflichtung der GPL ist nur dann erfüllt, wenn jedem Dritten gestattet ist, auch Veränderungen an der Fortentwicklung vorzunehmen und diese zu verbreiten. Die Open RTLinux Patent License verbietet es zwar nicht, Veränderungen an der Open-RTlinux-Software vorzunehmen, sie verbietet jedoch deren Verbreitung mittels des eingetragenen Patents. Dadurch sind die Verpflichtungen der GNU GPL verletzt.

Auch die weiteren Bestimmungen des § 2 ("Your Obligations") sind problematisch. Dort findet sich etwa unter § 2 Abs. 5 die Verpflichtung des Nutzers, seinen Namen und auch die Namen seiner Kunden mit Adresse, Telefonnummer und E-Mail-Adresse an den Patentinhaber zu übermitteln. Abs. 6 verpflichtet den Nutzer, alle kommerziellen Verwendungen des Patents aufzuzeichnen und dem Patentinhaber Kopien dieser Aufzeichnungen zur Verfügung zustellen. Hiervon wären nach dem Wortlaut der Lizenz auch RTAI-Nutzer betroffen, soweit sie das im Patentanspruch beschriebene Verfahren nutzen.

Wie geht es weiter?

Nach Presseberichten will der Patentinhaber diese Vertragsbedingungen zwar "nicht durchsetzen" [8]. Gleichwohl verstoßen diese Verpflichtungen gegen § 2 b GPL und vergleichbare Copyleft-Klauseln: Wer durch die Fortentwicklung von freier Software selbst Rechte an dieser Fortentwicklung erwirbt, seien es Urheber- oder Patentrechte, ist verpflichtet, diese Rechte auch wieder unter die GPL zu stellen, also das veränderte Programm wieder freizugeben. Seine Verbreitung darf nicht an weitere Bedingungen geknüpft werden.

Es bleibt abzuwarten, wann und wie sich die FSF zur Wehr setzt. Im Interesse der Rechtssicherheit beim Einsatz von GNU/Linux im wirtschaftlich bedeutsamen Realtime-Bereich wäre eine rasche Klärung der Angelegenheit wünschenswert. (uwo)

Infos

[1] Der Patentanspruch im Wortlaut mit Beschreibung des technischen Hintergrunds: http://www.uspto.gov/patft/index.html Dann suchen über die Patentnummer 5,995,745.

[2] Vgl.: http://www.realtimelinux.org/about.phtml

[3] Der Patentgesetz-Volltext findet sich unter: http://www.transpatent.com/gesetze/patg1.html

[4] Volltext Europäisches Patentübereinkommen unter: http://www.transpatent.com/archiv/461epue/v004.html

[5] Die GPL: http://www.fsf.org/copyleft/gpl.html

[6] Open RTLinux Patent License: http://www.rtlinux.com/patent_license.html

[7] Vgl.: http://www.realtimelinux.org/about.phtml

[8] Vgl. Epplin: http://www.linuxdevices.com/articles/AT2094189920.html

Der Autor

Axel Metzger ist Lehrbeauftragter der Universität Hamburg. In dem von ihm mitgegründeten ifrOSS (www.ifross.de) beschäftigt er sich mit den Rechtsfragen der Open-Source-Software.

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