EU-Kommission schlägt "Durchsetzungsrichtlinie" vor

Von Carsten Schulz
 
Die Entwicklung und Harmonisierung des europäischen Rechts des geistigen Eigentums bleibt weiter spannend. Während in Deutschland und zahlreichen anderen europäischen Mitgliedstaaten noch um die Umsetzung der EU-Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft gerungen wird (vgl. dazu die Übersichten des Instituts für Urheber- und Medienrecht sowie des ifrOSS), steht neben der sog. "Softwarepatentrichtlinie" (vgl. dazu Nachricht der Woche vom 6.12.2002) ein weiteres wichtiges Vorhaben in Brüssel an:

Die Europäische Kommission legte Ende Januar 2003 den Vorschlag einer "Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum" vor (Download PDF). Ziel des Entwurfs ist die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte; gleichzeitig soll ein besserer Informationsaustausch zwischen den verschiedenen zuständigen Behörden in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ermöglicht werden.
Der Kommissionsvorschlag regelt einheitlich die Durchsetzung aller Rechte an geistigem Eigentum, die bisher innerhalb der EU harmonisiert wurden, und erfasst damit die Bereiche des Urheberrechts und des Gewerblichen Rechtsschutzes gleichermaßen.
Der von der Kommission vorgelegte Richtlinienentwurf wird jetzt dem Parlament und dem Rat zugeleitet, die dann im sog. Mitbestimmungsverfahren darüber zu entscheiden haben. Bei diesem Verfahren erarbeitet das Parlament zunächst eine Stellungnahme, in der Abänderungen vorgeschlagen werden können. Der Rat kann dann, wenn er diesen Abänderungen zustimmt, den Rechtsakt erlassen. Stimmt er nicht zu, hat er die Möglichkeit, einen gemeinsamen Standpunkt festzulegen und diesen dem Parlament zu übermitteln. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass sich in den nächsten Monaten der Druck auf die Entscheidungsträger von Seiten der Lobbyverbände deutlich erhöhen wird. Bereits unmittelbar nach Veröffentlichung kritisierten zahlreiche Verwerterverbände in einer gemeinsamen Presseerklärung den Kommissionsvorschlag - wie bereits vorher erwartet wurde - als nicht weitreichend und ehrgeizig genug.
Hintergrund:

Die Kommission geht davon aus, dass eine Harmonisierung der Vorschriften zur Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum im Hinblick auf die Verwirklichung des Binnenmarktes unabdingbar sei. Ohne wirksame Instrumente zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum würden Innovation und kreatives Schaffen gebremst und Investitionen verhindert. Trotz der Umsetzung des TRIPS-Übereinkommens ("Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights"; Download PDF; vgl. auch die Übersicht des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum) in allen Mitgliedstaaten weise die Rechtslage in der Gemeinschaft aber große Unterschiede auf, so dass die Inhaber von Rechten an geistigem Eigentum nicht überall in der Gemeinschaft dasselbe Schutzniveau vorfänden.
Der Kommissionsvorschlag geht dabei allerdings deutlich über die internationalen Standards des TRIPS-Übereinkommens hinaus (sog. "TRIPS-Plus"-Ansatz). Insoweit ist insbesondere hervorzuheben:

  • Verwertungsgesellschaften und Berufsorganisationen soll künftig die Befugnis eingeräumt werden, als Vertreter der Rechtsinhaber die Anwendung der geregelten Maßnahmen und Verfahren zu beantragen und die Rechte gerichtlich geltend zu machen, die sie satzungsgemäß wahrzunehmen haben. Organisationen eines anderen Mitgliedstaats müssen dabei unter denselben Bedingungen wie inländische Einrichtungen tätig werden können (Art. 5).
  • Unter bestimmten Voraussetzungen sollen die für die Sachentscheidung zuständigen Gerichte die Befugnis erhalten, die Herausgabe der in der Verfügungsgewalt der gegnerischen (beklagten) Partei befindlichen Beweismittel anzuordnen, die zur Begründung der Ansprüche bezeichnet wurden (Art. 7).
  • Den zuständigen Gerichten soll einheitich die Möglichkeit eingeräumt werden, gegen den vermeintlichen Verletzer eine einstweilige Verfügung zu erlassen, auch um eine (erst) drohende Verletzung geistigen Eigentums zu verhindern (Art. 10).
  • In Fällen, in denen der Verletzer wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er mit seiner Handlung geistige Eigentumsrechte verletzt, steht dem Rechteinhaber ein Schadensersatzanspruch zu (Art. 17). Dieser beläuft sich je nach Antrag des Gläubigers wahlweise auf die doppelte Höhe der an sich zu zahlenden Lizenzgebühr oder auf die Höhe des durch die Rechtsverletzung tatsächlich eingetretenen Schadens einschließlich des entgangenen Gewinns. Fakultativ können die Mitgliedsstaaten darüber hinaus vorsehen, dass ein vollständiger Gewinnabschöpfungsanspruch des Gläubigers besteht. Auch besteht die Möglichkeit, Ersatzansprüche für immaterielle Schäden zu gewähren.
    Der pauschalierte Schadensersatz in doppelter Höhe der Lizenzgebühren soll nach Auffassung der Kommission dabei allein einen vollständigen Schadensausgleich ermöglichen, der von dem Rechteinhaber oft nur mit Mühe zu ermitteln sei; er sei nicht als Strafe gedacht, sondern als Aufwandsentschädigung für den Rechteinhaber auf objektiver Grundlage.
  • Bei Gerichtsverfahren wegen Immaterialgüterrechtsverletzungen sollen die Gerichte die Befugnis erhalten, auf Antrag des Rechteinhabers und auf Kosten des Verletzers anzuordnen, dass das Urteil bekannt gemacht und ganz oder teilweise in den vom Rechteinhaber bestimmten Publikationen veröffentlicht wird (Art. 19).
  • Über die besonderen Vorschriften hinaus, die im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte sowie des "sui generis"-Schutzes von Datenbanken gelten, soll auch für den Bereich der gewerblichen Schutzrechte ein Rechtsschutz gegen Herstellung, Import, Vertrieb und Nutzung ungesetzlicher technischer Schutzvorrichtungen gewährt werden (Art. 21).

Über die inhaltlichen Regelungen des Kommissionsentwurfs hinaus erscheint dieser insbesondere auch deshalb durchaus interessant, da die Kommission durchaus deutliche Weichenstellungen für eine künftige Entwicklung des europäischen Rechts des geistigen Eigentums vornimmt:

  • Erstens hebt die Kommission in der Begründung zum Richtlinienentwurf ausdrücklich hervor, dass es angesichts der bereits in der Vergangenheit durchgesetzten Vorhaben zur Harmonisierung des Rechts des geistigen Eigentums "mehr und mehr den Anschein (habe), als müsse die Gemeinschaft in diesem Bereich vorrangig eingreifen, um den Erfolg des Binnenmarkts sicherzustellen." Berücksichtigt man die wichtigen Vorhaben, die noch ausstehen (insb. Softwarepatente), so wird man in der Tat den vorliegenden Entwurf als einen weiteren Schritt im Hinblick auf ein einheitliches europäisches Immaterialgüterrechtssystem betrachten können.
  • Zweitens verfolgt die Kommission mit ihrem Vorschlag einen "horizontalen Regelungsansatz", wie er bereits aus Teil III des TRIPS-Übereinkommens bekannt ist. Er regelt einheitlich die Durchsetzung der Rechte an allen bisher harmonisierten Arten des geistigen Eigentums. Damit wachsen auf europäischer Ebene von der Rechtsfolgenseite her die Systeme des Urheberrechts und des gewerblichen Rechtsschutzes weiter zusammen, nachdem sich bereits auf der Seite der Schutzgewährung spätestens seit der Richtlinie 91/250/EWG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen eine Tendenz abzeichnete, die Begründung der urheberrechtlichen Schutzrechte verstärkt auch auf wirtschafts- und wettbewerbspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen zu stützen.

Für den Bereich der Freien Software bietet der vorgelegte Kommissionsentwurf durchaus Anlass sich noch einmal verstärkt mit den Fragen der Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte innerhalb dieses Entwicklungs- und Vermarktungsmodells auseinanderzusetzen. Hier versucht die Free Software Foundation Europe momentan durch die Bündelung von Rechten auf der Basis einer sog. "Treuhänderischen Lizenzvereinbarung" ("Fiduciary License Agreement", Download PDF); dazu auch Nachricht der Woche vom 10.02.2003) die Rechte der einzelnen Urheber zu Bündeln, um zentrale Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte zu gewährleisten. Dennoch bleiben zur Zeit noch viele Fragen offen. Hervorzuheben sind dabei unter anderem folgende Problemfelder:

  • Während im Hinblick auf Unterlassungsklagen wohl davon ausgegangen werden kann (was allerdings streitig ist), dass jeder einzelne Rechteinhaber die Unterlassung der Rechtsverletzung gerichtlich durchsetzen kann, auch wenn er nicht alle (weiteren) Rechteinhaber vollständig benennen kann, kommt die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen allenfalls dann in Betracht, wenn alle Rechteinhaber vollständig benannt werden können. Denn Leistung kann grundsätzlich nur an alle gefordert werden. Die Feststellung aller Berechtigten ist aber gerade bei größeren oder älteren Projekten praktisch kaum durchführbar.
  • Selbst wenn es gelingt, Schadensersatzansprüche gerichtlich gelten zu machen, stellt sich die Frage, welcher "Schaden" überhaupt entstanden ist. Die üblichen Lizenzkosten sind ebenso wie der entgangene Gewinn jedenfalls kaum geeignete Berechnungsgrundlagen, ist es doch Kernbestandteil Freier Softwarelizenzen, dass die Lizenzierung gerade kostenlos erfolgt. In Betracht kommen daher wohl allein Gewinnabschöpfungsansprüche (vgl. z.B. § 97 I 2 UrhG), d.h. Regelungen, die bestimmen, dass dem Rechteinhaber alle Gewinne zufallen, die der Verletzer aus der betreffenden Rechtsverletzung erzielt hat. Insoweit sieht der Kommissionsvorschlag vor, dass die einzelnen Mitgliedstaaten selbst entscheiden können, ob und inwieweit derartige Regelungen getroffen werden (Art. 17 II).