EU-Kommission schlägt „Gemeinsames Europäisches Kaufrecht“ auch für digitale Güter vor

Von: Dr. Till Kreutzer
 
Die EU-Kommission hat am 11. Oktober 2011 einen Vorschlag für ein „Gemeinsames Europäisches Kaufrecht zur Erleichterung grenzübergreifender Geschäfte im Binnenmarkt“ vorgelegt (KOM(2011) 636 endgültig). Hiermit soll ein einheitliches (wenngleich fakultatives) Regelungsregime für grenzüberschreitende Verträge in Europa eingeführt werden. Interessant ist – unter anderem – dass das gemeinsame europäische Kaufrecht gleichermaßen für Verträge über Sachen wie für digitale (unkörperliche) Güter gelten soll.

 

In dem Entwurf, der noch vom Europäischen Parlament abgesegnet werden muss, heißt es zum Anwendungsbereich des neuen Gemeinsamen Kaufrechts: „Das Gemeinsame Kaufrecht regelt vertragsrechtliche Aspekte, die für einen grenzübergreifenden Vertrag während seines gesamten Lebenszyklus von praktischer Bedeutung sind. Hierzu zählen die Rechte und Verpflichtungen der Parteien, die Abhilfen bei Nichterfüllung, die vorvertraglichen Informationspflichten, der Abschluss des Vertrags (einschließlich der Formerfordernisse), das Widerrufsrecht und seine Folgen, die Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder unfairer Ausnutzung, Auslegung, Inhalt und Wirkungen des Vertrags, die Beurteilung der Unfairness einer Vertragsbestimmung und ihre Folgen, Rückabwicklung nach Anfechtung und Beendigung des Vertrags sowie Verjährung.“
 
Erklärtes Ziel der Maßnahme ist es, einerseits den (Online-)Handel innerhalb Europas durch einheitliche Regelungen zu vereinfachen. In der Pressemitteilung heißt es hierzu: „Gegenwärtig müssen sich Unternehmen, die an Geschäften in anderen EU-Staaten interessiert sind, bis zu 26 verschiedenen Vertragsrechtssystemen anpassen, diese übersetzen lassen und rechtliche Beratung in Anspruch nehmen, was mit durchschnittlichen Kosten in Höhe von 10 000 EUR für jeden weiteren Exportmarkt verbunden ist.“ Diese hohen Kosten können mit einem europaweit einheitlichen Kaufrecht naturgemäß entgegengewirkt werden, was sicherlich dazu führen kann, dass der grenzüberschreitende Online-Handel in Europa Aufwind erfährt.
 
Das zweite wesentliche Ziel liegt darin, ein einheitlich hohes Verbraucherschutzniveau in allen Mitgliedstaaten zu schaffen. Verbraucher sollen dazu animiert werden, auch im europäischen Ausland zu kaufen. Studien haben ergeben, dass die Konsumenten diesbezüglich noch immer zurückhaltend sind, unter anderem deshalb, weil sie sich häufig über Widerrufs- und Rückgaberechte unsicher sind und die Transparenz nicht selten zu wünschen übrig lässt. Dem soll – gerade auch auf den Märkten mit digitalen Gütern – mit einem Verbraucherschutzrecht, das in allen Ländern Europas gleich ist, ebenfalls entgegengewirkt werden. Der Kommissionsvorschlag enthält daher „eine Reihe kaufrechtlicher Bestimmungen für Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte, auf deren Grundlage zu einem späteren Zeitpunkt eine umfassendere Strategie mit Maßnahmen für den Verbraucherschutz im digitalen Markt entwickelt werden könnte.“
 
Gerade in der Gleichstellung von Verträgen über den Erwerb von Sachen und unkörperlichen Gütern (Filmen, Musik, Software und so weiter) liegt ein großer Schritt auf dem Weg zu einem einheitlich hohen Verbraucherschutzniveau in Europa. Die Kommission geht mit ihrem Vorschlag auf Schwierigkeiten ein, die sich nach bisherigem Recht aus der Tatsache ergeben haben, dass das europäische Verbraucherschutzrecht auf immaterielle Güter häufig nicht anwendbar ist. So schrieb die Kommission schon in ihrem Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“ aus dem Jahr 2007 (KOM (2006) 744 final): „Da Computersoftware und elektronische Daten nicht unter die Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf fallen, könnten Unternehmer versucht sein, jegliche Haftung für Mängel und/oder Vertragswidrigkeit von sich zu weisen, indem sie sich auf Nutzungs- und Lizenzbestimmungen berufen, die so formuliert sind, dass es geschädigten Verbrauchern nicht möglich ist, ihre Rechte geltend zu machen.“ Das Grünbuch war eine der Erkenntnisgrundlagen für den Regelungsansatz für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht. Hierin wurde unter anderem auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die ich in Bezug auf den Erwerb digitaler Güter in der Studie „Verbraucherschutz bei digitalen Medien“ (siehe im Grünbuch Fn. 14) herausgearbeitet hatte.

Ob man dem Ziel eines verbesserten Verbraucherschutzes bei digitalen Gütern allerdings durch eine schlichte Gleichstellung mit den Regeln aus dem Kaufrecht deutlich näherkommt, kann durchaus bezweifelt werden. Verbraucherunfreundliche Regelungen in Lizenz- und Nutzungsbedingungen für Software, Musik oder Filme beschränken beispielsweise häufig urheberrechtliche Schrankenbestimmungen (wie die Privatkopie- oder Sicherungskopieregelung), deren Schutz nicht über das klassische Verbraucherschutzrecht gewährleistet werden kann. Notwendig wären daher ergänzende Maßnahmen (entweder im Urheber- oder im Verbraucherschutzrecht), die bestimmte Rechte der Nutzer sichern, indem vertragliche Umgehungen gesetzlich gewährter Befugnisse unterbunden werden. Hierzu habe ich in der Studie „Verbraucherschutz im Urheberrecht“ (2011) ausführlich ausgeführt (siehe etwa Seiten 5/6, 74 (Fn. 199) und 81). Der Hinweis im Kommissionsvorschlag, die Regelungen im Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht als Grundlage für eine „umfassende Strategie mit Maßnahmen für den Verbraucherschutz im digitalen Markt“ zu verstehen, weckt die Hoffnung, dass zukünftig auch in diese Richtung Maßnahmen ergriffen werden.
 
Welche Vorteile sich letztlich aus dem Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht für Anbieter und (v. a.) Verbraucher ergeben werden, hängt entscheidend davon ab, wie es vom Markt angenommen wird. Es soll nur gelten, wenn sich Anbieter und Kunde darauf einigen, dass das Gemeinsame Kaufrecht angewendet werden soll. Faktisch läuft das darauf hinaus, dass die Anbieter bestimmen, ob es gilt oder nicht (in ihren AGB). Das ist naturgemäß nur zu erwarten, wenn sich die Anbieter hiervon mehr Vor- als Nachteile versprechen.