Open Access: "Berlin Declaration" als Meilenstein auf dem Weg zu einer offenen Wissensgesellschaft

Von Dr. Till Jaeger

Alle bedeutenden Forschungsorganisationen Deutschlands haben zum Abschluss einer dreitägigen Konferenz in Berlin die "Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences an Humanities" verabschiedet. Die Max-Planck-Gesellschaft, die Frauenhofer Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und der Wissenschaftsrat haben darin zusammen mit weiteren nationalen und internationalen Partnern ihren Willen bekundet, das Open Access-Prinzip zu unterstützen.

Kernansatz von "Open Access" ist der freie Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und Kulturgut über das Internet. Dabei geht es insbesondere darum, wissenschaftliche Fachveröffentlichungen kostenfrei für jedermann in Online-Archiven zugänglich zu machen, aber auch sonstige Forschungsergebnisse, Bilder, Graphiken und Texte. Die "Berlin Declaration" stellt zwei Voraussetzungen für Open Access auf: Die erste betrifft lizenzrechtliche Vorgaben, wonach der Urheber oder Rechteinhaber ein kostenfreies und weltweites "Zugangsrecht" an jedermann gewähren muss sowie die Einräumung eines Nutzungsrechts zur Vervielfältgung, Verbreitung, und öffentliche Zugänglichmachung des Werkes in digitaler Form, das zudem verändert und in veränderter Form verbreitet werden darf. Daneben ist die Urheberschaft anzuerkennen, und ein Ausdruck des Werkes zu privaten Zwecken muss zulässig sein. Die zweite Voraussetzung sieht vor, dass zumindest eine vollständige Version des Werkes zusammen mit einer Lizenz (nach den Vorgaben der ersten Voraussetzung) in einem elektronischen Standardformat zur Langzeitarchivierung in einem Online-Archiv abgelegt wird, das geeigneten technischen Standards genügt.

Hintergrund:

Die Berlin Declaration bedeutet einen Meilenstein in der jüngeren deutschen Wissenschaftsgeschichte, weil sämtliche relevanten Forschungsorganisationen nicht nur die Veröffentlichungspraxis für Fachpublikationen auf die neuen technischen Möglichkeiten des Wissensaustauschs über das Internet anpassen wollen, sondern qualitativ darüber weit hinausgehen, indem der kostenlose Zugang für jedermann postuliert wird. Damit wird ein wesentlicher Schritt zu einer weltweiten und umfassenden Nutzung von Wissen gemacht, die durch die entsprechende Vernetzung weitere Dynamik gewinnen soll. Die Berlin Declaration bezieht sich explizit auf bereits bestehende Initiativen zu Open Access, insbesondere auf die Budapest Open Access Initiative (BOAI), die vom Open Society Institute initiiert wurde, das Bethesda Statement on Open Access Publishing und die von der EU geförderte ECHO Charta. Auch hier wird der weltweite und kostenfreie Zugang zu Fachzeitschriften als Ziel ausgerufen. Die BOAI betont dabei die Notwendigkeit der Qualitätskontrolle durch "Peer Reviews", wie sie bei Fachzeitschriften üblich sind. Damit wird der Tradition der Veröffentlichungen in zumeist teuren Fachzeitschriften ein neues Modell entgegengestellt, das nicht nur einen leichteren Online-Zugang ermöglichen soll, sondern in vernetzten Archiven, die nach Standards wie dem der Open Archives Initiative aufgebaut sind, eine Recherche wie in einem großen Gesamtarchiv vorsieht. Anders als die Public Library of Sciences, die aktiv auf Verlage zugeht, um eine Änderung der (kommerziellen) Zugangspolitik zu erreichen, fördert die BOAI neue Verlage, die sich dem Prinzip des Open Access anschließen.

Was für Wissenschaftler neue Recherchemöglichkeiten in der Forschung verspricht und einen Aufbruch in neue Techniken der Wissensbeschaffung und Wissensvermittlung, kann für Fachverlage eine Zeitenwende ihres Kerngeschäftes bedeuten. Hier muss sich zeigen, ob nicht nur alte Strukturen wegbrechen, sondern auch neue Geschäftsmodelle entwickelt werden können, etwa im Bereich des Hosting von Online-Archiven, Systematisierung von Wissen und Peer Reviews. Abbestellungen von Fachzeitschriften in Bibliotheken und Universitäten wegen der erheblich gestiegenen Kosten bei gleichzeitig beschränkten finanziellen Ressourcen haben ohnehin schon zu einer Schieflage des traditionellen Publikationssystems geführt. Die deutschen Forschungsorganisationen scheinen gewillt, dem Wissen, das durch öffentliche Mittel finanziert ist, nunmehr mittels Open Access einen Weg zurück zur Allgemeinheit zu ebenen. Damit wird für wissenschaftliche Werke dem zunehmenden Schutzüberhang, wie er etwa durch die Gesetzesnovelle zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft errichtet wurde, zugleich ein Modell der freieren Nutzung durch lizenzrechtliche Regelungen entgegengestellt. Bezeichnend ist dabei die Verankerung der Privatkopie in der Berlin Declaration.

Open Access lässt sich als Teilaspekt des bislang noch nicht scharf konturierten Open Content-Modells (vgl. Jaeger/Metzger, "Open Content-Lizenzen nach deutschem Recht") begreifen. Open Content reicht in sofern weiter, als hier sämtliche urheberrechtlich geschützten Werke erfasst werden, während sich Open Access auf wissenschaftliche Fachpublikationen bezieht. Allerdings wird in der Berlin Declaration mit der Einbeziehung des "kulturellen Erbes" bereits darüber hinausgegriffen. Versteht man Open Content als Pendant zu Freier Software, ergibt sich als Unterschied insbesondere die Betonung des "kostenlosen Zugangs", während Freie Software zwar lizenzgebührenfrei, aber durch aus kostenpflichtig genutzt werden darf. Zudem gewährt Open Access im Sinne der Berlin Declaration nur im digitalen Bereich eine freie Nutzung, während der analoge Printbereich - außerhalb der Privatkopie - davon unberührt bleibt. Für eine genauere Einordnung sind daher eine Analyse der Lizenzen für Open Access abzuwarten.