Eric S. Raymond hält GPL für überflüssig

Von Benjamin Roger
 
Eric S. Raymond, Open-Source-Programmierer und Autor, hat unlängst in einer von ihm selbst als "ketzerisch" bezeichneten Rede die GPL für überflüssig erklärt (wörtliche Transkription hier). Seine Argumentation zielt auf die Copyleft-Klausel ab und lautet im Wesentlichen, dass der Markt die Überführung von Open-Source-Code in proprietäre Software selbst bestrafe, die Lizenz dafür also keine Regelungen benötige.
Dieses Plädoyer zugunsten des freien Kräftespiels des Marktes stimmt (auch jenseits der augenblicklichen Allgegenwart des Begriffs "Marktversagen") bedenklich, fordert es doch den Verzicht auf eben die rechtliche Verbindlichkeit, die dem Open-Source-Modell immer wieder zur - notfalls gerichtlichen - Durchsetzung verhilft.

Hintergrund:

1. Raymond beruft sich auf ökonomische Befunde, wonach Open-Source-Entwicklung effizienter sei als die geschlossene Entwicklung. Unternehmen, die proprietäre Software entwickeln und den Source-Code nicht veröffentlichen, würden nicht von den zahlreichen Verbesserungen der Open-Source-Gemeinschaft profitieren, wären also auf ihre eigenen, limitierten Ressourcen beschränkt. Deshalb würden Versuche, Open-Source-Software in proprietäre Produkte zu überführen, am Markt scheitern. Eine rechtliche Bestimmung in der Lizenz, die dies unterbindet (eine Copyleft-Klausel also), sei mithin überflüssig.

Diese Überzeugung, die "unsichtbare Hand" würde zur Steuerung genügen, rührt zweifellos von Raymonds libertarianischer Einstellung her. Sie ist äußerst zweifelhaft, wenn man bedenkt, dass Marktteilnehmer sich keineswegs immer rational verhalten. Selbst bei rationalem Verhalten aber können Kunden noch verschiedenste Gründe haben, sich für ein bestimmtes Produkt zu entscheiden, das unter proprietärer Lizenz steht. Die Einbindung einer großen Entwicklergemeinschaft, welche das Open-Source-Modell ermöglicht, ist also nicht der alleinige und entscheidende Aspekt, der den Erfolg eines Softwareprojekts ausmacht. Ferner kann ein Softwarehersteller Open-Source-Elemente in ihrer jeweils aktuellen Version einbinden und auch so von der Aktivität der Gemeinschaft profitieren, ohne sich selbst daran zu beteiligen.
Raymonds Einschätzung beruht also auf einem stark idealisierten Verständnis der ökonomischen Effizienz und Steuerungsfähigkeit des Open-Source-Modells. Das ist nicht nur empirisch zweifelhaft, sondern hat auch problematische Implikationen für die theoretische Rechtfertigung von Open Source: dieses Modell hat sich in besonderem Maße dem Gemeinwohl verschrieben, welches in betriebswirtschaftlichen Effizienzerwägungen gerade keine Rolle spielt. Wenn nun die ökonomische Effizienz zum zentralen Vorzug des Open-Source-Modells verklärt wird, drohen andere Ziele in den Hintergrund zu geraten, und das Modell könnte insgesamt unter den Vorbehalt unmittelbarer wirtschaftlicher Effizienz gestellt werden.

2. Weiter führt Raymond gegen die GPL ins Feld, dass Firmen vor Copyleft-Software zurückschrecken würden, weil sie befürchteten, mit der Veröffentlichung des Quellcodes Geschäftsgeheimnisse zu offenbaren. Dieses Argument mag in einigen Fällen zutreffen. Unternehmen, die um die Geheimhaltung bestimmter Interna besorgt sind, würden wohl eher zu Open-Source-Software greifen, wenn Ihnen nicht die Weitergabe zu gleichen Bedingungen vorgeschrieben wird. In diesem Fall aber werden sie kaum geneigt sein, ihre Weiterentwicklungen wiederum zu Open-Source-Bedingungen zugänglich zu machen. Damit würde der Verzicht auf Copyleft-Klauseln zwar mehr Anreiz zur Nutzung quelloffener Software geben, nicht aber dafür sorgen, dass diese Unternehmen selbst zu deren gemeinschaftlicher Entwicklung beitragen. Gerade das aber ist das - auch von Raymond - angestrebte Ziel.